die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1978
Text # 117
Autor Wolf Mankwitz
Theater
Titel The Irish Hebrew Lesson
Ensemble/Spielort Almost Free Theatre/London
Inszenierung/Regie Ed Berman
Uraufführung
Sendeinfo 1978.01.26/SWF Kultur aktuell/ORF Wien

Ed Bermans Almost Free Theatre, eine der einflußreichsten Studiobühnen unter den sogenannten Theatern am Rande der britischen Hauptstadt, leistete wieder einmal ‘Geburtshilfe’ bei der Entstehung einer neuen professionellen Theatertruppe, die für die Propagierung ihrer besonderen Interessen eine unabhängige Plattform brauchte. Das Almost Free übernahm die Patenschaft für eine neue jüdische Theatergruppe, die – wie ihr Vorbild, das vor fünfzig Jahren in Moskau gegründete, heute weltberühmte Habimah-Theater – als Sprachrohr der über die Welt verstreuten Juden verstanden werden möchte. Von Januar bis April dieses Jahres brachte die Ben Uri Theatre Group auf der Bühne des Almost Free eine Reihe von Stücken bekannter jüdischer Autoren zur Uraufführung.

‘The Irish Hebrew Lesson’ (Die irisch-hebräische Lektion) von Wolf Mankowitz sorgte für einen glücklichen Auftakt. Das Stück zeigt die Begegnung eines jungen Iren, der im Untergrund für die Befreiung seines Landes von britischer Fremdherrschaft kämpft, mit einem älteren jüdischen Emigranten, den das Schicksal in die Stadt Cork verschlagen hat. Auf der Flucht vor den britischen Soldaten steigt der IRA-Mann mit entsicherter Waffe durchs Fenster eines Zimmers, das als Gebetsraum eingerichtet ist, eine bescheidene Synagoge, in der sich eine kleine Gemeinde an bestimmten Tagen zum Studium der heiligen Schriften versammelt. Der Raum gehört zur Wohnung eines Strumpfhändlers, der mit seiner Ware die Umgebung bereist.

Es ist Nacht. Die Familie schläft. Draußen fallen Schüsse. Das Gesicht des Iren ist gezeichnet von Haß, Mißtrauen und Angst. Er ist ausgehungert und erschöpft. Der alte Jude versteht, wie einem Flüchtenden zumute ist, gibt ihm zu essen und einen Schluck Wein und versucht dabei, mit ihm zu sprechen: “Du bist also einer von den Revolutionären ... Ich bin kein Anarchist, ich verkaufe Socken”. Allmählich gewinnt der Junge vertrauen, spricht dem Alten irische Worte vor und bemüht sich selbst, einen hebräischen Text nachzusagen. “Jiddisch oder Hebräisch – was ist die eigentliche Sprache der Juden?”, fragt er den Alten, und der erklärt: “Was ist der Unterschied zwischen Irisch und Englisch? Das eine ist eine heilige Sprache, das andere braucht man, um Socken zu verkaufen. Hebräisch ist die Sprache der Religion, der Poesie, nicht der Händler – außer, natürlich, in Israel”.

Als ein Wagen vorfährt und britische Soldaten das Haus durchsuchen, gelingt es dem Juden, den Jungen zu überreden, sich als Talmud-Schüler zu verkleiden. Die Täuschung gelingt, doch beide müssen sich eine Flut anti-jüdischer Schmähungen gefallen lassen. Die heiligen Schriften werden auf den Boden geworfen; aber List und Humor des weisen Juden retten den Jungen. “Hast du denn gar keinen Stolz? Wir kämpfen für unsere Ehre”, schreit der junge Mann und will den Soldaten nachstürzen. Der Alte hält ihn zurück: “Tu mir einen Gefallen – kämpfe nicht auch für unsere Ehre. Unsere heiligen Schriften sind so oft zu Boden geworfen worden, sie haben sich längst daran gewöhnt. Bücher sind Bücher, nur die Worte sind heilig”.

Wolf Mankwitz, selbst jüdischer Emigrant, der in Irland eine neue Heimat fand, hat das Stück ins Jahr 1921 zurückverlegt, was seine Aktualität jedoch nicht mindert. Leonard Fenton und Patrick Drury spielen das ungleiche Paar unter der Regie von Ed Berman mit absoluter Überzeugung. Der Berichterstatter war von Stück und Inszenierung hellauf begeistert.

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