die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1975
Text # 299
Autor John Osborne
Theater
Titel The End Of Me Old Cigar
Ensemble/Spielort Greenwich Theatre/London
Inszenierung/Regie Max Stafford-Clark
Hauptdarsteller Rachel Roberts/Jill Bennett
Uraufführung
Sendeinfo 1975.01.21/DLF

Die Premiere eines neuen Osborne-Stückes ist noch allemal ein Ereignis, von dem man sich etwas verspricht; das es dann zwar nicht hält (nach jenem berühmten Bühnenerstling des weiland zornigen jungen Mannes wohl auch nicht halten kann), doch den Kritikern immer wieder Gelegenheit gibt, auf alte Vorurteile zurückzukommen, die man nicht ungern bestätigt findet. Daß der Mann ein begnadeter Theaterdichter sei, beziehungsweise ein immer schon überschätzter, mittelmäßiger Autor von Stücken, die sich an ein Publikum richten, das sie gerade deshalb zu mögen scheint, weil sie trotz großen verbalen Aufwands im Grunde verblüffend wenig zu sagen haben.

Das Greenwich Theatre brachte soeben als zweites Stück einer sogenannten John-Osborne-Saison die Uraufführung des Stückes ‘The End Of Me Old Cigar’ mit einer Starbesetzung, die keinen Zweifel daran läßt, daß man die Inszenierung vom äußersten Südosten der Stadt in ein Theater des Londoner Westends überführen zu können hofft. Wo es dann jenes Publikum finden wird, an das der Autor beim Schreiben vor allem gedacht haben dürfte.

Der Titel ‘Mein alter Zigarrenstummel’ ist zweideutig. Er soll Erinnerungen wecken an alte Schlager aus Music-Hall-Zeiten und Assoziationen auf jenes literarisch immer häufiger strapazierte Symbol maskuliner Potenz: das von des Bewußtseins Blässe angekränkelte männliche Organ, welches Osborne hier ausführlich zum Gegenstand teils wütender, teils behutsam liebevoller Betrachtung macht, es durch Verniedlichung gleichsam an seinen rechten Ort zurückversetzen möchte.

Dieses nur nebenbei; wie freilich vieles andere im Stück; das im übrigen in dem vornehmen Landhaus einer reichen Dame spielt, die daraus ein exklusives Bordell gemacht hat für die Großen der Welt, die tonangebenden Mächtigen in dieser Männergesellschaft, welcher die Selfmade-Lady den Todesstoß versetzen will.

Zur Ausführung des Plans bedient sie sich der mannigfachen Talente ihrer Helferinnen, gesellschaftlich hoch angesehene Damen, die sich den eingeladenen männlichen Opfern für alle erdenklichen Lustbarkeiten zur Verfügung stellen; wobei man sie heimlich beobachtet, filmt und mit Tonbandgeräten belauscht. Das korrumpierende Material soll schließlich der Öffentlichkeit übergeben werden, wie eine Bombe einschlagen und die sexuelle Revolution zur Abschaffung des Männerregimes und zur Errichtung der Diktatur der Frauen führen.

Der absonderliche Plan zum Umsturz des herrschenden Systems (“Tod allen Männern!“) geht verdrießlicherweise nicht auf. Sabotage verdirbt das Spiel, Sabotage durch Liebe und Verrat, beide ebenso unerwartet wie fatal. Der männliche Adlatus und Leibfotograf der lustbaren Gesellschaft verkauft das exklusive Bild- und Tonmaterial mit allen Unterlagen des kostbaren Archivs an die an der Erhaltung der alten Ordnung interessierten Hintermänner. Und just das letzte der mit böser Absicht zusammengeführten Pärchen, dem die übrigen mit voyeuristischem Vergnügen hinter einseitig durchsichtigen Spiegelwänden beiwohnen, verliebt sich wirklich ineinander, überwindet alle psychisch-physischen Handicaps – und will für immer zusammenbleiben.

Durch das Gestrüpp der frivolen Reden, pompösen Posen, der mit kunstgewerblerischem Geschick gewirkten obszönen Wortgirlanden teilt sich im zweiten Teil des Stückes in der langen, vorsichtig ausgespielten Bettszene der beiden vom ehelichen Vorleben gebeutelten, schüchternen Liebenden mit sympathisch naiver Deutlichkeit mit, daß der Autor hier ernst genommen werden will. Er glaubt, so scheint es, noch an die Macht der Liebe, die uns aus der allgemeinen Verderbtheit der Welt, in der sich John Osborne ansonsten nicht gar so unwohl zu fühlen scheint, erlösen könne.

Osborne gefällt sich in der Rolle des ernsthaften Moralisten, der sich frivol gibt, um den Verfall der Sitten zu geißeln; eine Rolle, die ihm von vielen geglaubt wird.

Die Personen in seinem dramaturgisch nachlässig entworfenen, an originalen Einfällen armen, allzu leichtfertig blasphemisch sich gebärdenden Theaterstückes sind wandelnde Klischees. Unter den Frauen: die intellektuelle Klatschspaltenjournalistin, exaltierte Amateur-Call-Girls, das militante Mannweib, die bürgerlich Brave. Unter den Männern: der Jungmillionär mit dem Marzipanschweingesicht, der Zeitungsmogul, der konservative Abgeordnete, der hohläugig weißblasse Harlekin des Andy-Warhol-Sets.

Die offenbar kritisch gemeinten Zitate der bekannten Klischees werden zumeist so unvermittelt kunstlos präsentiert, daß man den Verdacht nicht los wird, es handele sich um ein Stück Selbstdarstellung des Autors, der unentwegt versichern muß ‘ich bin’s ja nicht, nur die anderen’, damit ihm das einer glaubt.

Ein schwaches Stück, das, wie gesagt, wegen seiner Starbesetzung (mit Rachel Roberts und Jill Bennett, der Frau des Autors) gewiß den Weg in den Londoner Westen finden wird, den es sucht. Und wo es dann, leider, auch hingehört. (Inszenierung: Max Stafford-Clark).

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