die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1975
Text # 86
Autor Simon Gray
Theater
Titel Otherwise Engaged
Ensemble/Spielort Queen’s Theatre/London
Inszenierung/Regie Harold Pinter
Hauptdarsteller Alan Bates
Uraufführung
Sendeinfo 1975.08.04/DLF/Nachdruck: Darmstädter Echo/National-Zeitung Basel

Simon Grays neues Stück ‘Otherwise Engaged’ (Anderweitig engagiert) im Londoner Queen’s Theatre hat manche Ähnlichkeit mit seinem dramatischen Vorgänger ‘Butley’ und sieht, so scheint es, einem ebenso großen Erfolg entgegen, einem Erfolg, der, wie im ersten Fall, auch auf das Konto des Regisseurs Harold Pinter und seines Hauptdarstellers Alan Bates gehen dürfte, die einen theatralischen Leckerbissen servieren, der selbst den Vergleich mit Peter Halls grandioser Inszenierung von Pinters ‘Niemandsland’ gewachsen ist.

‘Otherwise Engaged’ besticht durch sprachliche Brillianz, geistreiche Dialoge und die Faszination einer merkwürdig ambivalenten, auf sich selbst bezogenen Zentralfigur. Simon, ein erfolgreicher Verleger in besten Jahren, liebt Wagner. Er hat sich in sein stattliches Wohnzimmer begeben, um ein paar ruhige Stunden mit Wagners ‘Parsifal’ zu genießen, woran ihn eine Reihe ungebetener Gäste bis zum Ende des Stückes erfolgreich hindert: Ein rüpelhafter Soziologiestudent, der bei ihm Aufnahme gefunden hat; ein versoffener Literaturkritiker, der Probleme mit Frauen hat; eine zum Äußersten entschlossene junge Dame mit einladenden Brüsten auf der Suche nach einem Verleger; Simons Bruder, der sich verzweifelt um eine Stellung als stellvertretender Schuldirektor bemüht und dabei zu demütigenden Konzessionen gezwungen ist; ein ehemaliger Mitschüler Simons, der mit seinen sexuellen Problemen und seiner Verlobten nicht fertig wird, die, wie man erfährt, nach einem Besuch bei Simon spurlos verschwand; und schließlich Simons Frau, die ihm mitgeteilt, daß sie einen anderen liebt, ein Kind haben und sich scheiden lassen will.

Das Außerordentliche an den wechselnden Zweiergesprächen ist die kühle Distanz und Verhaltenheit, die Simon den Menschen, die ihn mit ihren Sorgen heimsuchen, bei aller Höflichkeit entgegenbringt, sein tiefes Desinteresse, seine Geringschätzung für unkontrollierte Reaktionen; Bitterkeit, Ironie und Spott, die sich mitteilen, wenn er wider Willen ins intime Gespräch gezogen wird, Teilnahme zeigen soll, die den Ratlosen etwas wie Trost und Hilfe wäre.

Alan Bates gelingt es, die konsequent auf sich selbst bezogene Haltung des Unnahbaren mit soviel selbstverständlichem Charme, Witz und Klugheit zu verbinden, daß die moralisch dubiose Figur niemals die Sympathie verliert, die das Interesse des Publikums an ihr erhält. Wie er jede Antwort sorgfältig überlegt, kurz verweilt, bevor er auf die Provokation der Partner reagiert, die ihn aus der Reserve locken möchten, behutsam artikulierend, ebenso vorsichtig wie vernichtend treffsicher im Ausdruck, stets dem hintergründigen Doppelsinn der Worte auf der Spur, – das wird meisterlich vorgeführt.

Harold Pinter hat das Stück mit dem Scharfsinn für rhythmische Werte und wirkungsvolle Pausen inszeniert, der auch seine eigenen Texte auszeichnet; die bis in alle Nebenrollen überzeugend gelungene Inszenierung eines eleganten, geistreichen, glänzend geschriebenen Unterhaltungsstückes

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