Peter Nichols’ neues Stück 'Passion Play’, soeben uraufgeführt von der Royal Shakespeare Company, ist die Geschichte einer modernen Ehe, beschrieben als Leidensgeschichte. “Ehe”, heißt es darin, “ist alles andere als rein. Ehe bedeutet Besitz und Elternschaft und Elend und gemeinsames Bankkonto und ‘dem Partner ein offenes Buch sein’. Diese Offenheit ist ihre besondere Qualität und ihre besondere Schwäche“.
Seit vier Jahren gehört Peter Nichols zur Spitzengruppe der britischen Theaterautoren. Er selbst meint, daß ihm trotz vieler Ehren und Auszeichnungen der ganz große Erfolg bisher noch versagt blieb. “Das Publikum sucht nach der Bestätigung, daß die Welt im Grunde in Ordnung ist”. Und die bleibt der menschenfreundliche Skeptiker ihnen schuldig. Die Sorge darum, was Menschen einander antun können, geht wie ein roter Faden durch seine Werke. Nichols glaubt an die Notwendigkeit grundlegender sozialer Veränderungen, aber er kennt zu gut die menschlichen Schwächen, um so zu tun, als könnten gesellschaftspolitische Veränderungen allein schon Wunder wirken.
Wenn sein neues Stück zunächst wie eines der vielen, nach dem Geschmack des breiten Publikums entworfenen pikanten Lustspiele des leicht unterhaltenden Genres sich ausnimmt, dann liegt dies am Thema, das hier nicht nur auf vergnügliche Weise, sondern auch mit äußerster Ehrlichkeit und desillusionierendem Pessimismus durchleuchtet wird: das Thema Ehebruch, dem zahllose Westendtheaterstücke nur die frivole Seite abgewinnen, die Lust am erfolgreichen Seitensprung aus den Gleisen des ehelichen Alltags.
‘Passion Play’ ist, bei allem Spaß an der Komik der Situationen wie der cleveren Machart des Stückes, ein trauriges Spiel der Leid schaffenden Leidenschaften. James und Eleanor haben fast fünfundzwanzig Jahre glücklich zusammengelebt. Sie bewohnen ein elegantes Haus in Chelsea, ihre Kinder sind bereits verheiratet, James hat ein gutes Einkommen als Restaurator von Gemälden, Eleanor singt in einem der großen Rundfunkchöre.
Durch ihre unwiderstehliche Neigung zu älteren verheirateten Männern hat Kate bereits einige Ehen zerbrochen oder gefährdet. Nach dem Tod ihres letzten Freundes, eines Studienkollegen von James, sucht sie ein neues Opfer. Als Eleanor entdeckt, das ihr Mann mit Kate ein Verhältnis hat, offenbart sie ihm, daß auch sie ihn gelegentlich betrogen hat und diese Erfahrung ebenso enttäuschend und unbefriedigend fand wie James die seine. Er liebt seine Frau und würde sie niemals verlassen, scheint aber gegenüber der Verführung des jüngeren Mädchens machtlos.
Zwischen James und Eleonor kommt es zum inneren Bruch. Er wird uns sichtbar gemacht durch eine Spaltung der Persönlichkeiten: die Eheleute, die bis dahin einander unbedingt vertrauten und (bis auf Eleanors offenbar harmlose Eskapaden) sich stets die Wahrheit sagten, haben mit einem Mal einen Doppelgänger neben sich, ein Alterego, das sie nun überall begleitet und stets das tut oder ausspricht, was ihr regelndes Bewußtsein dem Partner gegenüber verbirgt.
Nichols’ Einfall der Verdoppelung ist verblüffend simpel und enthält doch eine Fülle komischer Möglichkeiten, wenn beispielsweise James II seinem anderen Ich ins Wort fällt, sobald der das riskante Versteckspiel preiszugeben droht, dagegen in jubelnde Zustimmung ausbricht, wenn James I besonders erfolgreich geblufft hat.
Das Spiel auf zwei Ebenen wiederholt sich auf andere Weise im Bühnenbild von Patrick Robertson, das durch die Spaltung der Hauptpersonen zeitlich hintereinander liegende Vorgänge simultan zeigen kann, wie die Formulierung eines Briefes an die Geliebte auf der unteren Ebene, während auf der oberen das inzwischen abgefangene Beweisstück bereits seiner eigenen Frau übergeben wird. Aus Zweiergesprächen werden Dialoge zu viert, die in Mike Ockrents nuancenreicher Inszenierung von Benjamin Whitrow, Anton Rogers, Billie Whitelaw und Eileen Atkins mit großer Bravura ausgespielt werden.
Die Häßlichkeit des Betrugs wird durch ein anderes dramaturgisches Mittel noch unterstrichen. James kann die Geliebte nur dann gefahrlos besuchen, wenn seine Frau in Mozarts ‘Requiem’ oder Bachs ‘Matthäus-Passion’ mitsingen muß, die stets im Rundfunk direkt übertragen werden. Die gewaltigen religiösen Chöre kontrapunktieren das banale Schäferstündchen und werden zum Zeitmesser: “Wenn man bereits beim Agnus Dei ist, muß ich bald gehen”, sagt James an einer Stelle.
Die zum Teil tragikomischen Versuche des Ehemannes, das Vertrauen seiner Frau zurückzugewinnen, scheitern, da der Betrug im zweiten Teil des Stückes in eine neue, noch häßlichere Phase treibt. Peter Nichols verweigert uns ein happy end und beschließt sein Stück auf tief trauriger, pessimistischer Note.