die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1984
Text # 205
Autor Ferenc Molnár/Tom Stoppard
Theater
Titel Rough Crossing
Ensemble/Spielort Lyttelton Theatre/National Theatre/London
Inszenierung/Regie Peter Wood
Uraufführung
Sendeinfo 1984.10.31/SWF Kultur aktuell/WDR/SR/ORF Wien

Über den heute nur noch selten gespielten Ferenc Molnár liest man: “Geboren 1878 in Budapest, gestorben 1952 in New York. Meister des Feuilletons. Seine virtuos gearbeiteten Stücke errangen Weltruf”. “Wenn er die eigene Routine mit Selbstironie durchsetzte (wie in der Komödie ‘Spiel im Schloß’), vermochte er auch anspruchsvolleren Gehirnen ein abendliches Vergnügen zu spenden”, schrieb Albert Schulze Vellinghausen in einer Rezension Anfang der Fünfzigerjahre. Der Berliner Theaterkritiker Alfred Kerr nannte Molnár einen “Unterhalterich”, konzedierte jedoch: “inmitten des Kitsches ein Geniezug”.

Auf die Frage, wie er zum Schreiben gekommen sei, soll Molnár selbst einmal gesagt haben: “Es ist die alte Geschichte, wie bei vielen Angehörigen eines anderen unterhaltenden Gewerbes – der Prostitution. Erst tat ich’s aus Neugier, dann weil es mir Spaß machte, und schließlich blieb ich dabei wegen des Geldes”.

Molnárs 1924 geschriebenes ‘Spiel im Schloß’ ist ein teils sentimentales, teils geistreich-ironisches Kammerspiel über die Täuschungsmanöver eines cleveren Bühnenautors, der eine kompromittierende Liebeszene als Probe zu einem Theaterstück erscheinen läßt, dem er die wirkliche Szene im Wortlaut des belauschten Gesprächs nachträglich eingefügt hat. Turai, der Autor in Molnárs ‘Spiel im Schloß’, macht auf diese Weise ein Stück Leben zu Kunst.

Tom Stoppard, dem es in wachsendem Maße an eigenen Einfällen zu mangeln scheint, so daß er auf die Aneignung fremder Texte angewiesen ist, hat sich des Pirandello-Molnarschen Musters zur Komposition einer neuen Boulevardklamotte bedient, die unter dem Titel ‘Rough Crossing’ (Rauhe Überfahrt) zur Freude des allzeit lachbereiten Publikums, zum unverkennbaren Verdruß der Kritiker am Londoner Nationaltheater zur Uraufführung gelangen durfte.

“Der erste Unterschied zwischen Molnárs Stück und seiner Neufassung liegt im Titel”, heißt es im Programmheft. “‘Spiel im Schloß’ ist genau dies. Die Autoren Gal und Turai treffen als Wochenendgäste in besagtem Schloß an der italienischen Riviera ein. In ‘Rauhe Überfahrt’ gehen sie an Bord eines nach New York fahrenden Ozeandampfers” (dem Stoppard den sinnigen Namen ‘Italienisches Schloß’ verliehen hat). “Der zweite Unterschied”, heißt es dann weiter, “besteht darin, daß ‘Spiel im Schloß’ mit der Probe zu einem normalen Lustspiel endet, während man auf dem Schiff ein musikalisches Lustspiel probt, das unsere Helden am Broadway herausbringen wollen)”.

‘Rough Crossing’ beginnt nach bekannter Stoppard-Manier mit einem Feuerwerk teils brillant formulierter, teils alberner Wortspielkaskaden, die harmlos-folgenlos explodieren wie buntschillernde Seifenblasen. Aus dem Diener Drovnichek ist ein Steward geworden, der zum ersten Mal zur See fährt, mit wankenden Schritten umher geht und immer wieder Gelegenheit findet, die von den Gästen bestellten Getränke selbst zu schlucken, so daß er den hohen Seegang zu erleben glaubt, lange bevor das Boot wirklich zu rollen beginnt, Sessel, Tische und Piano zum Gaudi der Zuschauer von links nach rechts, von rechts nach links über die Bühne rutschen, bis der trickreiche Turai nach Rücksprache mit dem Kapitän ein kleines Wunder der Natur zu bewirken scheint, was den großen Kahn wenigstens bis zum Ende der laufenden Bühnenprobe wieder ins Lot bringt.

Stoppards Wortspielchen, Witzeleien und clevere Pointen tragen einigermaßen über den ersten Teil des Stückes, der mit den bedeutungsvollen Worten endet “Where do we go from here?”, die uns nach der Pause, wenn die Geschichte immer wieder ins Stocken gekommen ist, die Witze dünner und alberner werden und die sich wiederholenden Gags sich zu Tode laufen, als echte Ratlosigkeit erscheinen, wie man das Schiff aus den geistigen Untiefen wieder herausmanövrieren könne.

Was – um es kurz zu sagen – trotz geschickter Regie (Peter Wood), glänzender Besetzung der Hauptrollen und beträchtlichem szenischem Aufwand mit drehbaren Decks und spektakulärer Art-Deco-Freitreppe an Bord des Ozeanriesen, nicht recht gelingen will. Wenn es endlich zu der entscheidenden Szene kommt, in welcher der genasführte Komponist Adam durch neue Täuschung gerettet werden soll, hat sich das Publikum längst gründlich ausgelacht und den Anfang des komplexen Verwirrspiels so gut wie vergessen.

Der Kritiker des ‘Guardian’ gab nach der Premiere dem ‘Unterhalterich’ Stoppard zu verstehen, er habe offenbar nicht verstanden, worauf es dem ‘Unterhalterich’ Molnár ankam: auf den Beweis der Macht der Illusion. Die “rauhe Überfahrt” verlaufe sich im zweiten Akt als alberne Parodie auf die absurden musikalischen Lustspiele der Zwanzigerjahre. Und der Kritiker des ‘Daily Telegraph’ meinte: “‘Rough Crossing’ ließ mich an den Zierrat einer kunstvoll dekorierten Torte denken, ohne die Torte, die dazugehört”.

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