die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1981
Text # 162
Autor Natasha Morgan
Theater
Titel Room
Ensemble/Spielort Theatre Upstairs/Royal Court Theatre/London
Inszenierung/Regie Natasha Morgan
Uraufführung
Sendeinfo 1981.06.26/DLF/SWF Kultur aktuell/RB/SR/SRG Basel Nachdruck: Darmstädter Echo 005/Theatre Upstairs/Royal Court Theatre/London

Virginia Woolf war die erste Frau, die sich als Schriftstellerin ihren Lebensunterhalt verdienen konnte, darum den Raum hatte, den (wie sie feststellt) eine Frau, die sich zum Schreiben berufen fühlt, brauche. Natasha Morgan, die sich beim Lesen der Bücher und Briefe Virginia Woolfs zu einem Theaterstück inspirieren ließ, das in diesen Tagen im Theatre Upstairs des Royal Court Theatre unter dem Titel ‘Room’ vorgestellt wird, mußte erfahren, daß es bei der Realisierung eines künstlerischen Vorhabens nicht nur auf die persönlichen Umstände ankommt, sondern auch auf die Grenzen der Freiheit des Ausdrucks, wenn sie die von Literaturagenten eifersüchtig bewachten Grenzen des sogenannten geistigen Eigentums tangieren.

Als im November des vorigen Jahres das Stück in seiner ersten Fassung in dem Südlondoner Community Centre Oval House gezeigt wurde und die Autorin kein Hehl daraus machte, daß sich sein Titel ‘A Room of One’s Own’ auf einen Vortrag bezog, den Virginia Woolf 1928 vor Studentinnen der Universität Cambridge gehalten hatte, intervenierten die Verwalter des Woolf-Erbes. Um einer angedrohten Klage zu entgehen, entschloß sich Natasha Morgan, den Text umzuschreiben und alle Zitate aus Büchern und Briefen der Virginia Woolf zu streichen. Was dabei herauskam, darf nun als “das Stück, das nicht von Virginia Woolf handelt”, im Theatre Upstairs besichtigt werden.

Einprägsame szenische Bilder und Geräusche bezeichnen die Situation einer Frau von heute, die Schriftstellerin sein will, doch als Mutter und Hüter des Haushalts gegenüber dem Mann, der das Geld der Familie verdient, zurückstecken muß. In einem Brief an den Ehemann versucht sie ihm klarzumachen, daß er die häuslichen und elterlichen Pflichten mit ihr teilen müsse; zwei freie Abende in der Woche genügten nicht; im übrigen brauche sie einen eigenen Raum, in welchem sie ungestört ihrer eigenen Sache nachgehen könne. Sie schließt die Epistel mit dem Vermerk, für diesen Brief habe sie Essen und Wäsche und das schreiende Baby für zwei Stunden sich selbst überlassen müssen.

Während sie schreibt, verwandelt sich die Szene zum Garten. Druckfahnen hängen an senkrechten Schnüren. Der Tisch wird zur Tafel, die die Hausfrau im Kostüm eines Serviermädchens für eine Gesellschaft von Männern deckt, die es sich selbstvergessen wohl sein lassen und in gedämpftem Gemurmel, das wie von fern aus dem Nebenzimmer zu kommen scheint, über Literatur und Kunst konversieren.

Als man auch der Frau Gelegenheit gibt, ein Gedicht zu verlesen, und ihr mit gönnerhaftem Wohlwollen applaudiert, beginnt die Lesende plötzlich um sich zu schlagen und muß von ihrem Mann hinausgeführt werden. Ebenso unvermittelt kommt der Übergang von einer Familienidylle – der Mann sitzt am Schreibtisch, die Frau nimmt die Druckfahnen von der Leine, als seien es die Windeln des Babys, das draußen zu schreien begonnen hat – zur Mordtat: Sie ergreift ein Gewehr, stürzt hinaus, “gib endlich Ruhe, du kleines Biest!“, ein Schuß und dann Stille.

In einer anderen Szene wird eine als ältere Dame gekleidete Puppe herein getragen und in einen Gartensessel gesenkt, der von Bücherbergen umgeben ist, Bücher von Frauen. Ihre Namen werden verlesen wir eine leise Litanei, die uns daran erinnern soll, was weibliche Autoren bei aller Benachteiligung gegenüber ihren männlichen Kollegen literarisch zu leisten vermochten. Es ist, als wenn Virginia Woolf, die als Person nicht auftritt, doch unsichtbar durch die Szenen zu wandern scheint, sich als Autorin Gehör verschaffen konnte, weil der Erfolg ihr die Freiheit und Unabhängigkeit garantierte, die ihre These für alle schreibenden Frauen reklamiert, als Bedingung der Möglichkeit kreativer Arbeit.

Natasha Morgan, die zwei Jahre lang zum Team der People Show gehörte, jene Gruppe, deren einzigartiger, bildhaft poetischer Aufführungsstil dem Theater eine neue Dimension erschloß, setzt hier dieselben behutsamen Mittel ein. Die Szenen fließen ineinander wie Traumbilder; gesprochene Sprache tritt in den Hintergrund; musikalisch arrangierte Geräusche, Musik, sorgfältig durchdachte Lichtwechsel, symbolische Requisiten setzen Akzente, geben Signale, visuelle und akustische Anstöße für die Assoziationsbereitschaft des Publikums. Stil, das Medium, wird so zur Botschaft, die Szene – nicht nur symbolhaft – zu jenem Raum, in welchem die weibliche Innenwelt sich entfalten kann.

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