die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1973
Text # 65
Autor Rolf Hochhut
Kulturpolitik
Titel Soldaten
Sendeinfo 1973.11.14/SWF Kultur aktuell/DW Köln

Im Anschluß an die Veröffentlichung einer Meldung der Nachrichtenagentur AP, die in dieser Woche in einigen deutschen Zeitungen erschien, ist es zu Mißverständnissen gekommen über den Ausgang des Gerichtsverfahrens gegen Rolf Hochmut und den Spiegel-Verlag Rudolf Augstein. Der frühere britische Geheimagent Oberst Bickham Sweet-Ascott hatte gegen den in der Schweiz lebenden Autor und gegen das westdeutsche Nachrichtrichtenmagazin vor einem Londoner Gericht eine Klage auf Schadensersatz wegen Verleumdung eingereicht, weil Rolf Hochhuth in einem ‘Spiegel’-Artikel Anfang Oktober 1967 kurz vor der Uraufführung seines Stückes ‘Soldaten’ behauptet hatte, Sweet-Ascott sei ein Mordexperte des britischen Geheimdienstes gewesen, der im Juli 1943 nach Gibraltar geschickt worden sei, um den Mord an General Sikorski, dem Premierminister der polnischen Exil-Regierung, durchzuführen. Sikorski wollte am 4. Juli 1943 mit einer Maschine der Royal Airforce von Gibraltar nach London fliegen. Das Flugzeug, in dem sich auch Sikorskis Tochter und andere polnische Offiziere und Zivilisten befanden, war aus nicht genau feststellbaren Gründen Sekunden nach dem Start ins Meer gestürzt. Nur der Pilot überlebte. Weil Hochhuth in seinem Schauspiel ‘Soldaten’ unterstellt hatte, es habe sich hier nicht um einen Unfall gehandelt, sondern um Mord im Auftrag von Winston Churchill, wurde die vom Londoner Nationaltheater geplante Aufführung des Stückes untersagt.

Hochhuth hatte in seinem ‘Spiegel’-Artikel behauptet, der damalige Geheimdienstoffizier Sweet-Ascott habe sich am Tage des Unglücks mit dem Gouverneur von Gibraltar getroffen, in dessen Terminkalender die Verabredung am 4. Juli 1943 für 11:45 Uhr notiert sei. Der Anwalt Sweet-Ascotts konnte dagegen nachweisen, daß sich sein Mandant an diesem Tage in England aufhielt und zu keinem Zeitpunkt mit dem Gouverneur von Gibraltar zusammentraf. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte zu Hochhuths These, daß der Unfall, bei dem Sikorski ums Leben kam, Mord gewesen sei. Wegen der Unhaltbarkeit der gegen Sweet-Ascott erhobenen Beschuldigungen hat der Spiegel-Verlag einem Vergleich zugestimmt. Der Anwalt des ‘Spiegel’ gab zu verstehen, das Hochhuth den Artikel seinerzeit unter eigenem Namen geschrieben habe. Hochhuths Aussagen seien unhaltbar gewesen. ‘Der Spiegel’ bedauere die Veröffentlichung des Textes und erkläre sich bereit, sämtliche Unkosten zu tragen, und dem zu Unrecht beschuldigten Oberst für den durch den ‘Spiegel’-Artikel entstandenen Schaden eine angemessene Kompensationssumme zu zahlen.

Der zuständige Richter sprach Hochhuth der Verleumdung schuldig und bat das Gericht um Festsetzung der Schadensersatzsumme, die er persönlich zu zahlen habe. Es wurde festgestellt, Hochhuth habe keinen Versuch gemacht, sich dem englischen Gericht zu stellen und seine verleumderischen Aussagen zu rechtfertigen.

Es hieß, Hochhuth sei unter seiner schweizerischen Adresse nicht erreichbar. Der Gedanke, er habe seinen Wohnsitz in der Schweiz aufgegeben, scheint absurd angesichts der Tatsache, daß es kein Abkommen gibt zwischen Großbritannien und der Schweiz, nach welchem zivilrechtliche Urteile britischer Gerichte, in diesem Fall eine Klage auf Schadensersatz, in der Schweiz vollstreckbar wären. Hochhuths Taktik, sich tot zu stellen, hat also Methode. Sofern er nicht von einem Schweizer Gericht verurteilt wird – wozu eine neue Klage gegen ihn eingereicht werden müßte – , kann er praktisch nicht zur Zahlung der Schadensersatzsumme gezwungen werden.

Im Hinblick auf den Spiegel-Verlag liegen die Dinge dagegen etwas anders, weil zwischen den Ländern der EG Rechtshilfeabkommen bestehen, welche die Vollstreckung von Urteilen eines EG-Landes in einem anderen ermöglichen. Dieser Umstand dürfte der Grund für die schnelle Bereitwilligkeit des ‘Spiegel’ zu einem Vergleich sein, der den Verlag, wie man hier schätzt, £75.000, das sind fast eine halbe Million Mark, kosten kann.

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