die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1997
Text # 365
Autor Yigal Ezrati
Theater/ Edinburgh Festival
Titel Mister V.
Ensemble/Spielort Pleasance Theatre/Edinburgh Festival
Inszenierung/Regie Yigal Ezrati
Hauptdarsteller Jonathan Cherchi
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1997.08.25/WDR Kritisches Tagebuch 1997.08.26/SDR

Eine israelische Theatertruppe stellte im Rahmen des diesjährigen Edinburgh Festival die europäische Erstaufführung eines Stückes vor, das bei einem israelischen Festival Anfang dieses Jahres einen Sonderpreis gewonnen und auch in Edinburg viel Lob und Zuspruch fand, aber weniger als künstlerisches Ereignis, als wegen seines politischen Hintergrundes besondere Beachtung verdiente.

‘Mister V.’ von Yigal Ezrati versucht ein szenisches Porträt des Atomtechnikers Mordechai Vanunu, der vom israelischen Geheimdienst gewaltsam entführt, in einem nicht-öffentlichen Prozeß verurteilt wurde und nun schon seit über zehn Jahren in Einzelhaft gehalten wird. Das Stück und seine Aufführung sollen an das Schicksal des Mannes erinnern, der sich aus Gewissensgründen entschloß, einem Journalisten der Londoner ‘Sunday Times’ gegenüber zu bestätigen, daß Israel als erstes Land des Nahen Ostens Atomwaffen entwickelte. Am 30. September 1986 wurde Vanunu von einer israelischen Agentin nach Italien gelockt, von dort nach Israel entführt und wegen Spionage und Verrat von Staatsgeheimnissen zu achtzehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Eine Vielzahl international bekannter Wissenschaftler und Künstler (die meisten jüdischer Abstammung) hat sich der britischen ‘Kampagne zur Befreiung Vanunus’ angeschlossen. Sie setzen sich für einen atomwaffenfreien Nahen Osten ein und kämpfen gegen “die internationale Verschwörung des Schweigens”, die nicht nur den Fall Vanunu aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit verdrängt hat, sondern zur Ursache einer allgemeinen moralischen Verunsicherung geworden ist.

Schuld daran sind nicht nur unsere Politiker, wenn sie sich unberührt von moralischen Erwägungen zu bestimmten Formen des diplomatischen Verhaltens verstehen, die wir unmoralisch nennen könnten. Schlimmer und folgenreicher ist der Einfluß der Medien, der Organe der öffentlichen Meinungsbildung, wenn die Auswahl der Nachrichten und Kommentare einer gestrengen, weitgehend unbewußten Selbstzensur unterworfen ist, die wie ein Filter wirkt, der bestimmte Informationen zurückhält.

Die unausdrückliche Vereinbarung, sich möglichst jeder Kritik an den Israelis zu enthalten, um nicht antisemitischer Vorurteile verdächtigt zu werden, hat (nicht nur in Deutschland, wo die Verunsicherung verständlicherweise am größten ist und als nationale Neurose gesehen werden muß) eine Tabuzone geschaffen, in welcher Unrecht, das anderswo sofort heftige Kritik auslösen würde, geschehen darf, ohne solche negativen Folgen zu zeitigen. Was anderenorts als Verbrechen erkannt und geahndet wird, darf für den Fall, daß Israel der Verursacher ist, stets mit dem Zugeständnis mildernder Umstände rechnen.

Mit ihrem Stück ‘Mister V.’ will die israelische Theatertruppe, die es vorstellt, der verhängnisvollen “Verschwörung des Schweigens” und den von der offiziellen israelischen Propaganda verbreiteten Unwahrheiten über Mordechai Vanunu und seine Motive entgegenwirken, vor allem durch redliche Aufklärung, Information über die Wahrheit der Sachverhalte.

Zu den Befürwortern einer sofortigen Freilassung Vanunus oder wenigstens verbesserter Haftbedingungen gehören der Friedensnobelpreisträger Professor Joseph Rothblat, der britische Atomwissenschaftler Dr. Frank Barnaby, der amerikanische Verteidigungsexperte Daniel Ellsberg und andere namhafte amerikanische, europäische und israelische Juristen, Wissenschaftler und Künstler.

Als im Herbst 1996 in Israel eine internationale Konferenz zum Thema ‘Demokratie, Menschenrechte und Mordechai Vanunu’ stattfand, sandte der Bühnendichter Harold Pinter ihr folgende Grußbotschaft: “Mordechai Vanunu ist ein Mann mit immenser Courage und Würde. Seine sadistische Behandlung durch die israelische Regierung ist eine Schande, ein Hohn auf die noch verbliebenen Werte unserer Zivilisation. Was Vanunu tat, war im höchsten Maße moralisch begründet. Die Stimme seines Gewissens ist der Ruf der Vernunft in einer sehr finsteren Landschaft. Unsere Unterstützung für ihn muß dauerhaft sein und unerschütterlich. Er spricht für uns”.

Mordechai Vanunu glaubte, die Öffentlichkeit habe ein Recht zu erfahren, daß Israels Atomwaffenarsenal sich in der Größenordnung mit dem der Chinesen, Franzosen und Briten vergleichen ließ. Er hielt Israels über zweihundert Nuklearbomben, einige davon mit der achtfachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe, für eine unmittelbare Bedrohung des Friedens im Nahen Osten. Da der Zweck des israelischen Atompotenzials nicht der Einsatz dieser Waffen sein konnte, sondern nur deren abschreckende Wirkung, die voraussetzt, daß das feindlich gesinnte Ausland von der Existenz der Waffen weiß, hatte Vanunu durch die Preisgabe der geheim gehaltenen Informationen die Sicherheit Israels nicht gefährdet. Das harte Urteil und die von Amnesty International “grausam, inhuman und entwürdigend” genannten Strafbedingungen, “ein Verstoß gegen die internationalen Menschenrechte”, wirken unter solchen Umständen wie ein barbarischer Racheakt eines autoritären Regimes an einem Ungehorsamen.

Jonathan Cherchi in der Rolle Vanunus beschreibt die Haftbedingungen: “Versuchen Sie sich vorzustellen, was es heißt, zehn Jahre in einer drei mal zwei Meter großen Isolationsszene zu verbringen, ohne Fenster, ohne einen Sonnenstrahl, zehn Jahre lang. Und das Licht bleibt vierundzwanzig Stunden an. In der Bibel heißt es, als Gott Himmel und Erde schuf, sagte er: Es werde Licht! Und es gab Licht und Dunkelheit, so daß die Menschen wußten, wann es Zeit war zum Schlafen. Ich aber habe vierundzwanzig Stunden am Tag Licht”.

Mordechais Bruder Meir Vanunu, den ich in Edinburg traf, sprach mit Sorge über die psychischen und physischen Folgen der langjährigen Isolationfolter: “Als ich ihn letztes Jahr fast jede Woche für zwei Stunden besuchte, war es beinahe unmöglich, mit ihm ein normales Gespräch zu führen. Die Realität, die ich sehe, scheint für ihn nicht mehr zu existieren. Er sieht überall Signale und Komplotte. Jede Minute seines Lebens ist eine Auseinandersetzung mit dem Geheimdienst, der, wie er glaubt, einen psychologischen Krieg gegen ihn führt mit dem Ziel, ihn um den Verstand zu bringen. Und er kämpft in seiner Zelle jede Minute darum, bei Sinnen zu bleiben”.

Mordechi Vanunu wurde vom norwegischen Vizepräsidenten des Internationalen Friedensbüros Frederick Heffermehl bereits zum siebten Mal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. In der Begründung heißt es, er habe sich an das Nürnberg-Prinzip gehalten, das den Einzelnen aufruft zu handeln, wenn es darauf ankommt, Verbrechen des Staates zu verhindern.

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