die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1972
Text # 312
Kulturpolitik
Sendeinfo 1977.08.05/SWF Kultur aktuell

Am 31. März dieses Jahres wandten sich fünf der regelmäßig für den deutschsprachigen Dienst der BBC arbeitenden Sprecher an die Leitung der Honorarabteilung. Sie baten darum, die Möglichkeit einer Erhöhung ihrer Gagen für Lesekontrakte zu prüfen. Die Gagen der professionellen Sprecher seien über die Jahre hinter dem Anstieg der Lebenshaltungskosten soweit zurückgeblieben, daß man sich gezwungen sehe, um eine Angleichung nachzusuchen.

Drei Wochen später kam die Antwort: die Sprechergagen seien im Oktober des Vorjahres um viereinhalb Prozent angehoben worden; wegen der von der Regierung festgesetzten Begrenzung für Lohn- und Gehaltserhöhungen sei es nicht möglich, den Wünschen der Sprecher weiter entgegenzukommen.

Die eindeutig negative, offenbar zu keinerlei Zugeständnissen bereite Haltung der Manager machte böses Blut. Die Begründung ihrer Absage erschien fragwürdig, da die Richtlinien der Regierung sich auf Lohn- und Gehaltsforderungen von Personen bezogen, deren Jahreseinkommen sich ständig und regelmäßig erhöht hatte. Für die durch Einzelkontrakte verpflichteten Sprecher der deutschsprachigen Abteilung der BBC traf dies jedoch nicht zu. Die 1957 für Lesekontrakte gezahlte Minimalgage von £5.25 wurde seither auf £7.25 erhöht, eine Erhöhung also von nur zwei Pfund in zwanzig Jahren! Für eine Leseverpflichtung, durch die der Sprecher mit An- und Abfahrt in der Regel einen halben Arbeitstag verliert, zahlt der deutschsprachige Dienst nicht mehr als umgerechnet DM 29.-.

Die Sprecher behaupten, daß in den zwei Jahrzehnten, in denen sich ihre Gage um nur 8 DM erhöhte, ihre eigenen regelmäßigen Kosten um etwa das Fünf- bis Sechsfache angestiegen sind. Natürlich mache man sich keine Illusionen darüber, daß eine Gagenerhöhung solchen Ausmaßes nicht in Frage komme, aber man glaube, daß eine Erhöhung der Gagen proportional zu der im selben Zeitraum erfolgten Erhöhung der Gehälter für die fest angestellten Mitarbeiter der BBC-Auslandsdienste wohl angemessen sei. Dies wurde dem Management mitgeteilt.

Die sich daran anschließenden Verhandlungen zwischen der (mittlerweile von allen in London ansässigen deutschen Sprechern unterstützten) Gruppe auf der einen Seite, der Leitung des Deutschen Dienstes bzw. dem zuständigen Booking Manager auf der anderen führten am 21. Juni zu der förmlichen Erklärung der Sprecher, daß man in Zukunft keine Lesekontrakte zu den alten Bedingungen mehr annehmen werde. Der Leiter des deutschsprachigen Dienstes, der von der Möglichkeit eines solchen Beschlusses vorher informiert worden war, hat daraufhin in einem Rundschreiben an alle Redakteure seines Hauses die Anweisung erteilt, ihre Programme so abzufassen, daß das Lesen von Texten durch Sprecher entfällt; eine Maßnahme, die schlichtweg absurd erscheint. Der deutschsprachige Dienst der BBC dürfte damit die erste Anstalt in der Geschichte des Rundfunks sein, die gänzlich ohne Sprecher arbeiten zu können glaubt.

Die Revolte der deutschen Sprecher zieht indessen weitere Kreise. Die Gewerkschaft der britischen Schauspieler Equity, die Gewerkschaft der Rundfunk Angestellten ABS und die Gewerkschaft der britischen Journalisten haben den deutschen Sprechern ihre Sympathie versichert und jede mögliche Unterstützung zugesagt. Der Vorsitzende der Association of Broadcasting and Allied Staffs will die nach seiner Ansicht in jedem Sinne berechtigten Forderungen der freiberuflichen Sprecher auf die Agenda der für den kommenden Herbst bevorstehenden neuen Verhandlungen mit der British Broadcasting Corporation setzen lassen.

Der vom Leiter des deutschsprachigen Dienstes verfügte Sprecherverzicht könnte böse Folgen haben. Denn der in der vergangenen Woche vorgelegte Bericht einer von der Regierung eingesetzten Kommission (Think Tank) hat wieder einmal die Bedeutung der vom britischen Außenministerium finanzierten Sendungen der Auslandsdienste in ihrer jetzigen Form in Frage gestellt und einschneidende Kürzungen vorgeschlagen. Die Programme des deutschsprachigen Dienstes, die seit dem Ende des Krieges von Jahr Jahr zu Jahr an Farbe, Gewicht und Bedeutung verloren haben, sind durch den Verzicht auf alle Sprecher, die die Sendungen interessant gestalten helfen, zur tödlichen Langeweile verdammt.

Es fällt im Augenblick schwer zu glauben, daß die für die Krise vor allem Verantwortlichen, die leitenden Funktionäre der als Publicity-Organ konzipierten Auslandsdienste, sich bald eines Besseren besinnen und begreifen werden, daß sie mit solcher Politik dem ominösen Auftrag, “ein positives Image des Landes zu projizieren”, kaum genügen können; daß sie, um als Anstalt zu überleben, nach einem Standpunkt suchen müssen, der für alle Fremdsprachendienste neue Regeln schafft. Am Streit um die Gagen der Sprecher – für sich nur Detail und Randproblem der allgemeinen Misere – verrät sich der Geist der Institution.

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