die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1993
Text # 278
Autor Athol Fugard
Theater
Titel Playland
Ensemble/Spielort Donmar Warehouse Theatre/London
Inszenierung/Regie Athol Fugard
Hauptdarsteller John Kani/Sean Taylor
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1993.0303/WDR/SDR/BR/RIAS/ Nachdruck: Darmstädter Echo

In einem Gespräch, das ich vor fünfzehn Jahren mit dem südafrikanischen Dichter Athol Fugard bei einem seiner Besuche in London führte, erklärte er auf die Frage: Gibt es noch eine Hoffnung auf eine friedliche Lösung in Südafrika? – “Ich habe alle Hoffnung, wirklich alle Hoffnung auf die Möglichkeit friedlicher Veränderung verloren. Ich glaube, daß die menschenwürdige Gesellschaft, die es eines Tages auch in meinem Lande geben wird, noch teuer erkauft werden muß, mit dem Leben vieler Menschen und großem Leid”.

Der sogenannte südafrikanische Grenzkrieg zwischen den Truppen des Apartheid-Regimes und der südafrikanischen Befreiungsbewegung SWAPO im benachbarten Namibia war damals schon zehn Jahre alt und sollte noch weitere zwölf Jahre dauern. Er brachte für beide Seiten so schwere Verluste, daß man heute davon spricht als von Südafrikas Vietnam. Die Situation im Inneren des Landes hatte sich durch die Intransigenz der weißen Machthaber so verhärtet, daß man befürchten mußte, die oft bewunderte Geduld der Schwarzen werde wie ein überspannter Faden reißen und der zu erwartende Aufstand das Land wie ein Pulverfaß explodieren lassen.

Inzwischen ist das Ziel, das damals noch in weiter Ferne lag, die Demokratisierung der Republik Südafrika, in greifbare Nähe gerückt. “Politische Übel sind keine Naturkatastrophen“, hieß es in einem der Stücke von Fugard, “sie sind von Menschen geschaffen und darum veränderbar”. Es ist eine Botschaft, die aus allen Werken des weißen Südafrikaners spricht, dessen nie zu erschütternder Glaube, daß es auch für die Schwarzen in seinem Land irgendwann Gerechtigkeit geben werde, sich bald erfüllen soll.

Fugards neues Stück mit dem Titel ‘Playland’ (Spielwiese), das im vergangenen Jahr im Markttheater Johannesburg uraufgeführt wurde und nun im Donmar Warehouse Theatre London unter der Regie des Autors zum ersten Mal in Europa vorgestellt wird, bezieht sich auf die neue Situation des Übergangs von der Diktatur der weißrassigen Minderheit zur parlamentarischen Demokratie, ein Übergang, der nach Fugards Verständnis auch für die bisherige Herrenrasse ein Akt der Befreiung sein wird. “Man hat für sich selbst keine Freiheit gewonnen, solange man andere in Sklaverei gefangen hält”, hieß es in seinem Schauspiel ‘Ein Platz bei den Schweinen’.

‘Playland’ zeigt die Begegnung eines Schwarzen und eines Weißen, die auf verschiedene Weise von den Spuren der jüngsten Geschichte ihres Landes gezeichnet sind und einen Ausweg in eine gemeinsame Zukunft finden müssen. Martinus Zoeloe arbeitet als “Tag- und Nachtwächter” auf einem Rummelplatz am Rande einer Kleinstadt in der südafrikanischen Wüstenlandschaft Karoo. Gideon Le Roux war bis vor kurzem noch Korporal der südafrikanischen Armee im Namibia-Krieg, der 1989 nach dem Inkrafttreten eines von den UN überwachten Waffenstillstandes zuende ging. Es ist der erste Sylvesterabend nach Gideons Ausmusterung und er hat sich auf die Spielwiese begeben, um – wie alle anderen, die hier erschienen sind – im Gedudel der Karussells, bei lauter Musik, im Gekreisch der Leute zwischen Schießbuden, Geisterbahn und Riesenrad mit viel starkem Alkohol das vergangene schlimme Jahr zu vergessen.

Martinus, der Schwarze, ist fixiert auf den Tag des Jüngsten Gerichts, an dem Gott die Sünder, die keine Reue zeigen, in die ewige Hölle verdammen wird. Vor allem wer gegen das sechste Gebot ‘Du sollst nicht töten’ verstoßen habe, könne ohne Reue keine Gnade erwarten. Gideon errät, daß Martinus selbst gegen “die große Nummer sechs“ gesündigt hat und darum keine Freude am Dasein mehr findet. Er hat einen Weißen erstochen, weil er seine schwarze Hausangestellte, Martins Verlobte, vergewaltigte. Und er bekennt: Ich würde es wieder tun. Schuld ohne Reue aber versteht er als sichere Verdammnis.

Gideon lacht ihn aus. Das soll er mal mit den Vergewaltigungen und Morden vergleichen, die er und seine Leute auf dem Gewissen haben. Und dann beginnt er, von den Greueln des langen Krieges zu sprechen, die ihn Nacht für Nacht in seine Träume verfolgen. Die aufgesetzte Fassade harmloser Heiterkeit zerbricht, und als um Mitternacht die Raketen krachen, fühlt er sich zurückversetzt in die Hölle explodierender Bomben und Granaten in den Schlachten, die er überlebte, mit seelischen Wunden, die nicht heilen wollen. Während die Menschen um ihn herum den Beginn des neuen Jahres umjubeln, steht er allein, ein armseliges Bild der besoffenen, heulenden Verzweiflung.

Als die Musik verklungen ist, die Menschen sich verlaufen haben und die Lichter der Spielwiese ausgegangen sind, weigert sich Gideon (wie Jakob im Kampf mit dem Engel), das Feld zu räumen, bevor Martinus mit ihm eine Art Frieden geschlossen hat, symbolische Geste der gegenseitigen Vergebung, die beiden helfen wird, die Schrecken der Vergangenheit, den Schmerz und den Haß, die ihr Leben beschädigt haben, zu überwinden und an eine gemeinsame Zukunft zu glauben.

Wie in seinen früheren Stücken gelingt es Fugard, die komplexen Verhältnisse seines Landes in einer einfachen Parabel darzustellen und die verwirrende Vielfalt moralischer Wertungen auf den elementaren Gegensatz zwischen Gut und Böse, Recht und Unrecht zu reduzieren. Mit unerbittlicher Konsequenz hat er stets das Unrecht beim Namen genannt und durch seinen Mut, sein Engagement für die Unterdrückten in seinem Lande dazu beigetragen, die Ideologie der Unmenschlichkeit zu besiegen. Er weiß, daß es nun darauf ankommt, Schuld einzubekennen und die Versöhnung zu suchen.

Wie in der südafrikanischen Uraufführung des Stückes, das man zu Fugards stärksten Bühnenwerken wird zählen müssen, spielen John Kani als Martinus und Sean Taylor als Gideon Le Roux unter der Regie des Autors Athol Fugard – ohne Sentimentalität ergreifend, erschütternd glaubhaft.

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