die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1991
Text # 263
Autor William Shakespeare
Theater
Titel A Midsummer Night’s Dream
Ensemble/Spielort Komödientheater Bukarest/Footsbarn Theatre/LIFT ’91/London
Inszenierung/Regie Alex Darie
Sendeinfo 1991.07.10/SDR/RIAS/DS Kultur

Zehn Jahre sind es her, seit zwei bis dahin unbekannte junge Damen, Rose Fenton und Lucy Neal, nach Beendigung ihres Studiums mit dem bescheidenen Etat von £120.000 aus erbettelten öffentlichen und (vor allem) privaten Geldern in London ein neues Theaterfestival zustande brachten. Das seither alle zwei Jahre veranstaltete London International Festival of Theatre (kurz LIFT) hat auf die britische Szene wie ein belebender Aufwind gewirkt, der neue Ideen zutrug und die Engländer wissen ließ, daß es neben der Tradition des Sprechtheaters, der man sich hierzulande besonders verpflichtet fühlt, ebenso faszinierende Formen des visuellen Theaters gibt.

LIFT versteht sich als alternatives Theaterfestival. Die Veranstalter sind bemüht, nicht nur die größten und international bekanntesten, sondern einige der besten und interessantesten der freien Truppen aus aller Welt nach England zu holen und sie auf ein halbes Dutzend Londoner Bühnen verteilt, in Zelten oder im Freien, auf schwimmenden Podesten über der Themse oder auf öffentlichen Plätzen auftreten zu lassen. Es galt zu beweisen, daß das Theater kulturelle und sprachliche Grenzen überwinden kann; daß es eine lingua franca der darstellenden Künste gibt, die universal verständlich und populär ist, weil sie sich vornehmlich visueller Ausdrucksmittel bedient. Im Unterschied zu den oft als elitär empfundenen Aufführungen des Sprechtheaters, wirken viele der Inszenierungen, die man während der LIFT-Festivals zu sehen bekam, bunt und übermütig, ausgelassen karnevalistisch. Sie erinnern an die Jahrtausende alte Tradition der früher bei Jahrmärkten und Volksfesten auftretenden Mimen und Schausteller, an die ältesten Formen des Volkstheaters. Und an den guten alten Zirkus.

Es ist darum wohl kein Zufall, daß das Programm des diesjährigen LIFT-Festivals zwei sonst sehr verschiedene Inszenierungen des ‘Sommernachtstraums’ enthält, die das Stück in eine Zirkusarena verlegt haben. Im ersten Fall, dem Gastspiel des Komödientheaters Bukarest, deutet das Bühnenbild mit sandigem Boden, gerafften Segeltüchern und Seilen die Zirkuskulisse an. Die aus Cornwall stammende internationale Wandertheatertruppe Footsbarn reist wie echtes Zirkusvolk mit Kind und Kegel in bunten Wohnwagen durch die Lande und tritt in einem großen Rundzelt auf.

In der rumänischen Inszenierung unter der Regie von Alex Darie wird ein Zirkusdirektor zur dominierenden Figur, die in drei verschiedenen Rollen erscheint, als Theseus, Oberon und Peter Squenz. Eine sinistre, despotische, unberechenbar launenhafte und Furcht erregende Gestalt, die alle anderen wie Marionetten nach eigener Willkür tanzen läßt, immer wieder direkt in die Handlung eingreift und die übrigen Charaktere wie durch böse Zauberei mit knappen Gesten zum Sprechen veranlaßt oder mundtot macht.

Obwohl man sich textlich, mit Ausnahme der Zusammenlegung der Rollen (auch Hippolyta und Titania verschmelzen zu einer Figur), an das Shakespearesche Original zu halten scheint, wird das Stück zu einer politischen Allegorie über Despotismus und die Manipulation von Menschen, die – schmerzliche Erfahrung der Rumänen unter der Diktatur Ceaucescus – zu eigenständigem Handeln nicht mehr in der Lage sind.

Theseus ist umgeben von lemurenhaften Bürokraten mit grauen Mänteln, grauen Hüten und Aktentaschen. Die Geister des Waldes sind groteske Monstren, die allesamt in Oberons Diensten zu stehen scheinen. Vor diesem düsteren Hintergrund darf in den komischen Szenen die komödiantische Spiellust der Darsteller über die Stränge schlagen. Die Gags überstürzen sich, bis man auch die spaßigen Momente eigentlich gar nicht mehr lustig findet.

Ganz anders dagegen im ‘Sommernachtstraum’ des Footsbarn-Wandertheaters. Die Zuschauer sitzen auf ansteigenden harten Bänken um die Manege, die Lichter verlöschen und Musik stimmt uns ein auf ein Märchenspiel.

Kam die rumänische Aufführung mit zwölf Darstellern aus, hat das Footsbarn Theatre die Zahl der Darsteller noch radikaler auf neun reduziert und den Text so drastisch zu kürzen, ja stellenweise zu verändern und mit improvisierten Passagen aufzufüllen gewagt, daß die meisten der Londoner Kritiker die Inszenierung schon wegen dieses Vergehens gegen den geheiligten Geist des großen William keiner fairen Beurteilung mehr für würdig hielten. Obwohl auch hier jeder Darsteller mehrere Rollen übernehmen muß, was nur mithilfe von Make-Up-Tricks, Masken, ausdrucksstarken Kostümen und einer wahrhaft verblüffenden Verwandlungsfähigkeit der Schauspieler wirklich gelingt, bleibt die verschachtelte Handlung klarer, der Fortgang der Ereignisse logischer, die komplexe Struktur des Stückes durchsichtiger als in der originalgetreueren rumänischen Fassung.

Dies ist umso erstaunlicher, als die Inszenierung, wie bei anderen Arbeiten des Theaterkollektivs, ohne Regisseur von den Darstellern gemeinsam entwickelt wurde. Was durch die Verkürzung und Vereinfachung des Textes, der auch von einem ausländischen Publikum verstanden werden soll, an sprachlicher Poesie verloren geht, wird ersetzt durch visuelle szenische und musikalische Poesie. Und weil der für jede Rolle festgelegte Spielraum hier nicht überzogen wird, die komödiantische Lust sich nicht verselbstständigt, wirken die meisten Szenen komischer als je zuvor. Der Spaß, den die Schauspieler haben, überträgt sich.

Trotz des erstaunlichen Stilgemischs aus Elementen weit voneinander entfernter Kulturen, “aus Zeiten und Gegenden, in denen die Welt der Geister noch ernstgenommen wurde und wird”; mit Einflüssen, die auf heidnische Rituale, Kabuki, und Commedia dell’arte zurückgehen; mit musikalischen Anleihen von den australischen Aborigines, der Inselwelt Südostasiens und Irlands – trotz des erstaunlichen Gemischs so vieler heterogener Elemente fügt sich dies alles zu einem harmonischen Ganzen, zur Erinnerung an einen wilden, phantastischen, wunderlich schönen Traum, den Traum einer Mittsommernacht.

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