Bei dem folgenden Text handelt es sich um die für eine öffentliche Lesung geplante Zusammenstellung von einem guten halben Dutzend leicht gekürzter und miteinander verbundener Originalbeiträge aus einer in den neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunders für den Rundfunk enstandenen Reihe von Sendungen zum Thema ‘Schwierigkeiten der Verständigung’ zwischen Menschen verschiedener Nationen, geschrieben aus der Sicht eines Deutschen, der den größten Teil seines Lebens in einem europäischen Ausland verbrachte und dabei mancherlei lernen konnte.
Arthur Schopenhauer hat darauf hingewiesen, daß seine Philosophie in erster Linie der Erfahrung, der unmittelbaren Anschauung sich verdanke und daraus hervorgegangen sei. Was Sie von mir hören werden, bewegt sich nach wissenschaftlichen Kriterien auf ähnlich ungesichertem Boden, weil es von persönlichen Erfahrungen ausgehend Sachverhalte beschreibt und daraus verallgemeinernd zu Aussagen kommt, die wie erwiesene Wahrheiten auftreten, wenngleich sie eigentlich nur behaupten können, Resultate von Beobachtungen aus subjektiver Perspektive zu sein.
Dies soll freilich nicht heißen, daß aus persönlicher Erfahrung gewonnene Erkenntnisse weniger Anspruch auf Wahrheit erheben können als positivistische Verfahren. Die Methode deutenden Denkens bedarf wohl keiner Rechtfertigung mehr. Dazu paßt der Vermerk eines anderen Frankfurter Philosophen, der sich auf seine eigenen Probleme mit positivistischen Denkgewohnheiten bezieht, die ihm gerade im angelsächsischen Bereich zu schaffen machten. In seinem Text “Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika” schreibt Adorno: “Ich empfand es als mir gemäß und als objektiv geboten, Phänomene zu deuten, nicht Fakten zu ermitteln, zu ordnen, zu klassifizieren, gar als Information zur Verfügung zu stellen; nicht nur in der Philosophie sondern auch in der Soziologie. Bis zum heutigen Tag habe ich beides nie rigoros voneinander getrennt . . . Dadurch provozierte ich den Einwand, den ich nicht zum letzten Mal hören sollte: ‘Where is the evidence?’“ Und er stellt fest: “Leicht kann die Skepsis gegen das Unbewiesene ins Denkverbot umschlagen”.
Auch bei meinen Texten wird sich zeigen, daß wir in unseren Überlegungen oft von Voraussetzungen ausgehen, die sich auf fest gewordene Denk- und Verhaltensweisen, also Vorurteile, gründen, was die Verständigung, vor allem zwischen Menschen verschiedener Kulturen, erheblich erschweren muß.
Dazu kommt ein weiteres Problem. Was uns an anderen aufgeht, soll sprachlich-begrifflich sich ausdrücken lassen, auch wenn die Begriffe, die es zu fassen versuchen, es nicht gänzlich fassen können. So sprechen wir etwa von unterschiedlicher Mentalität und meinen damit eine Vielfalt komplexer Verhaltensweisen, die sich nicht eindeutig benennen lassen, doch immer wieder benannt werden müssen, und zwar so, daß das Erkannte nicht im Begriff erstarrt und zum Vorurteil gerinnt, an dem man festhalten könnte, als wäre es nichts als die Wahrheit. Ihr aber werden nur Aussagen mit Vorbehalt gerecht, die es im nächsten Zug, im nächsten Anlauf genauer zu klären gilt.
Als ich mit meiner Frau im Jahre 2006 zum ersten Mal nach Japan reiste, empfahl ein britischer Anthropologe die Lektüre eines Buches von dem japanischen Psychologen Takeo Doi mit dem Titel ‘Amae no Kozo’, in der englischen Übersetzung ‘The anatomy of dependence’, der Versuch einer Analyse der japanischen Psyche. Das Buch war 1971 erschienen und auch bei westlichen Psychologen und Soziologen auf großes Interesse gestoßen.
Dr. Doi, der in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts mit einem Stipendium in die USA gekommen war, hatte dort die typischen Erfahrungen eines Ausländers gemacht, der mit dem Verhalten der Einheimischen eines fremden Kulturkreises zurechtzukommen versucht und sich dabei der Besonderheiten der eigenen Kultur bewußt wird.
Im Mittelpunkt des Buches steht der in der japanischen Sprache offensichtlich sehr bedeutungsreiche Begriff Amae und eine Vielzahl anderer Worte, die sich auf diesen Begriff beziehen und Verhaltensweisen beschreiben, die sowohl für den Einzelnen wie für die japanische Gesellschaft im ganzen charakteristisch sind. Die Erkenntnis, daß viele japanische Worte sich einfach nicht in eine andere Sprache übersetzen lassen, weil es an equivalenten Begriffen fehlt, führt zu der Annahme, daß man an den Besonderheiten der Sprache die Besonderheiten im Verhalten der Menschen erklären könne. Mit anderen Worten: Im sprachlichen Ausdruck teilt sich etwas vom Wesen der Menschen mit.
Dies nun war ein Gedanke, der mich lange vor meinem ersten Japanbesuch in einer Reihe von Texten beschäftigt hatte, die in verschiedenen Ansätzen den Unterschieden zwischen Deutschen und Engländern auf die Spur zu kommen bemüht gewesen war. Bei unseren Japanbesuchen aber fiel uns auf, daß es trotz der enormen kulturellen Unterschiede zwischen den Inselnationen Japan und Großbritannien verblüffende Ähnlichkeiten gab. Die Japaner hatten ein hoch komplexes System des sozialen Verhaltens entwickelt, das sich in mancher Hinsicht mit dem der Engländer vergleichen ließ, nur vielleicht noch erstaunlichere Blüten trieb; was in beiden Fällen gerade uns Deutschen zum Problem werden muß. Die unter dem Titel “Ungebügelte Gedanken eines Germanen im Land der Briten” für zwei meiner deutschen Rundfunkanstalten beschriebenen Vorgänge und Erlebnisse aus dem englischen Milieu und der Versuch einer Klärung der Differenzen im Umgang miteinander gehören in denselben Zusammenhang.
Der Zeitzeuge ist stets besorgt um die Frage des Abstands. Ist man überhaupt in der Lage, Aussagen zu machen, die ein gewisses Maß von Objektivität für sich beanspruchen dürfen; hat man je genüged Abstand zu den Verhältnissen, um behaupten zu können, unsere Aussagen seien mehr als subjektive Meinung, wovon in der Regel nicht viel zu halten ist, weil die persönlich gefärbte Erfahrung, das nur Subjektive, viel zu beliebig erscheint, um als halbwegs objektive Bestandsaufnahme auch vor anderen bestehen zu können?
Nur wer davon überzeugt ist, daß objektive Erkenntnis aus subjektiver Erfahrung möglich ist, wird den Mut haben, seine Gedanken mitzuteilen mit einem gewissen Anspruch auf Wahrheit.
Um die erwähnten Schwierigkeiten der Verständigung anschaulicher darzustellen, mußte ich versuchen, ein wenig aus der eigenen Schule zu plaudern, dabei persönliche Geschichten zu erzählen und sie auszulegen.
Ich hatte nach einer Ausbildung für das Theater und einigen Jahren als Dramaturg und Regisseur an deutschen Bühnen, ernüchtert durch die Art und Weise, wie dort gearbeitet wurde, in der politisch aufgeheizten Atmosphäre der späten sechziger Jahre Deutschland den Rücken gekehrt und mich nach England abgesetzt. Angezogen von der Theatermetropole London, war ich dabei allerdings vom Regen in die Traufe gekommen, vor allem weil ich nicht fähig war, mir vorzustellen, daß die Menschen zweier benachbarter europäischer Länder so verschieden sein konnten.
Ich wurde Opfer desselben Wunschdenkens, das die Befürworter der Idee eines vereinten Europas veranlaßt hatte, den Zusammenschluß grundverschiedener europäischer Völker zu planen und durchzusetzen, bevor die entscheidenden Voraussetzungen für eine praktische Verwirklichung der schönen Idee gegeben waren. Die Folgen sind bekannt.
Eigentlich begannen die Probleme, auch bei mir, schon bei der anderen Sprache. Die Engländer sprachen ein Englisch, das von der in unseren Schulen gelernten Sprache so weit entfernt schien wie etwa das Deutsche vom Holländischen. Im übrigen mußten wir lernen, daß Klasssenunterschiede in Großbritannien noch sehr ernst genommen wurden, weil es sie wirklich in erschreckendem Maße noch gab.
Wie einer sprach, verriet bereits unverkennbar, zu welcher Klasse er gehörte. Die Londoner Handwerker sprachen eine mehr oder weniger gemäßigte Form des Cockney-Dialektes, der früher vor allem in den Proletariervierteln im Osten der Stadt zuhause war. Oder sie sprachen einen für uns gleichermaßen schwer verständlichen irischen Slang, weil es vor allem in London sehr viele Iren gab, die auf der Suche nach Arbeit irgendwann auf die britische Insel gekommen waren und die typischen Gastarbeiterrollen, die niedersten Jobs übernommen hatten, bis eine neue Welle von Einwanderern aus den ehemaligen britischen Kolonien erschien und sich im proletarischen Souterrain der Gesellschaft ansiedelte.
Schon in elisabethanischer Zeit, zur Zeit Shakespeares, waren die Klassengegensätze so deutlich ausgeprägt, daß es in den Theaterstücken stets mehrere Sprachebenen gab, vom Slang des einfachen Volkes über die Jargons der gehobeneren Berufe bis zur gewählten Ausdrucksweise der damaligen ‘upper class’, deren Texte in Versen gesetzt waren, während die anderen in Prosa sprachen. Die Tradition der sprachlichen Unterscheidung nach Klassenzugehörigkeit der Rollenträger hat sich bis heute erhalten, gehört zum Repertoire jedes englischen Bühnenautors und wird von den Regisseuren und Schauspielern ganz selbstverständlich als Mittel der differenzierenden Charakterdarstellung in allen Aufführungen fast automatisch befolgt.
Wer also wie ich sehr oft ins Theater ging, hatte Gelegenheit, die verschiedenen Sprechweisen, Dialekte, Jargons, Slangs und Akzente der englischen Sprache kennenzulernen und sich an den fremden Zungenschlag zu gewöhnen. Was freilich noch lange nicht half, in den alltäglichen Situationen zu bestehen, wenn es darauf ankam, mit einem Bekannten ein freundliches Schwätzchen zu halten; oder wenn man eingeladen wurde zu einer der Drinks- oder Dinnerparties, wo man die Spielregeln des gesellschaftlichen Umgangs studieren konnte, aber eigentlich längst kennen mußte, um nicht ständig mißverstanden zu werden, sich zu blamieren und von den anderen mitleidig oder herablassend belächelt zu werden.
Der mit solchen Komplikationen beschäftigte Ausländer machte die Erfahrung, daß es nicht nur darauf ankam, die fremde Sprache zu verstehen, sie passiv und aktiv zu beherrschen, sie lesen und schreiben und darin mündlich kommunizieren zu können, sondern die Menschen, die in dieser Sprache lebten, in ihrer Andersartigkeit kennen und verstehen zu lernen. Die Bedeutung der Wörter hatte man schnell begriffen. Das war das wenigste. Es galt vielmehr zu verstehen, daß man mit Sprache anders umging, als wir es gewohnt waren, und das Gesagte noch lange nicht bedeuten mußte, was wir der Bedeutung eines Wort für Wort übersetzten Satzes glaubten entnehmen zu können. Bei der im eigenen Kopf stattfindenden Übertragung war der englische Satz zu einem deutschen geworden, wodurch sich der Sinn des Gesagten veränderte. Die Menschen sprachen anders, weil sie anders waren, anders fühlten und dachten, anders reagierten und darum auch ganz anders miteinander umgingen. Die Aufgabe, deren Lösung ich mir zumuten wollte, schien viel schwerer zu sein als meiner Schulweisheit geträumt.
Man muß versuchen, etwas genauer zu erklären, was es mit dieser Schwierigkeit auf sich hat, weil wir ohne ein Gespür für das, was uns von anderen unterscheidet, auch unsere nächsten Nachbarn nicht verstehen werden. Wie man umgekehrt sagen könnte, daß am Verständnis der anderen, an ihrer Andersartigkeit, ihren Reaktionen auf das, was ihnen an uns befremdlich erscheint, etwas aufgehen kann von dem, was wir selber sind.
Wer einen anderen verstehen will, tut gut daran, sich nicht nur an das zu halten, was uns auf den ersten Blick vertraut erscheint. Denn darin liegt die Gefahr, das Fremde zu unterschätzen. Daß die Länder Europas, wie man sagt, zusammengewachsen sind und alte Feindschaften und Rivalitäten begraben haben, täuscht leicht darüber hinweg, daß es zwischen den Mentalitäten der Völker erstaunliche Unterschiede gibt. Mag sein, daß in dem Inselreich Großbritannien sich Eigenarten besonders hartnäckig und länger erhalten haben als in den nur durch grüne Grenzen getrennten Ländern des europäischen Kontinents. Die Vorstellung, daß sich die Unterschiede zwischen den Völkern verwischt, die Menschen sich angeglichen haben, könnte wiederum eine Form von Wunschdenken sein, weil man sich von der Verwischung der Unterschiede etwas verspricht, während doch die Tendenz zur Gleichmacherei die Mißverständnisse geradezu blühen läßt. Wer Formen der Gemeinsamkeit entwickeln will, sollte zunächst einmal wissen, was uns trennt.
Das soll natürlich nicht heißen, daß man es sich nicht länger leisten könne, auch naiv und spontan aufeinander zuzugehen. Aber wer nur naiv sich verhält, darf sich nicht wundern, wenn er von Zeit zu Zeit eine Überraschung erlebt.
Ich werde nie vergessen, wie ich in den ersten Monaten meines Englandaufenthalts von einem Besuch aus Deutschland zurückkehrte und Auslöser eines Vorfalls wurde, in dem ich selbst Subjekt und Objekt der Erfahrung solcher tief eingeprägten Differenzen werden sollte. Die kleine Geschichte zeigt auf exemplarische Weise, wie verschieden sich Menschen verhalten, wie das, was sie sagen, verrät, wie sie jeweils funktionieren, und wie wir aus diesen Unterschieden lernen können. Ich war mit dem Fährschiff in Dover gelandet und hatte mich mit meinen schweren Koffern in die lange Schlange von Menschen eingereiht, die sich der Paß- und Zollkontrolle zubewegte, welche die Briten damals noch fast so gründlich und zeitaufwenig besorgten wie die ostdeutschen Grenzer beim Übergang in die DDR. Nach der üblichen Befragung, wie lange ich in Großbritannien zu bleiben gedächte, und meiner üblichen Antwort “Sechs bis acht Wochen; ich arbeite an einem Studienprojekt” (womit ich bestätigte, was die Grenzbeamten zu hören wünschten, nämlich daß ich nicht um Geld zu verdienen nach England gekommen war) hatte man mir den Zutritt gestattet. Wir hatten den Bahnsteig erreicht, wo ein leerer Zug auf uns wartete, in den sich die Leute ohne Gedrängel mit ihren Gepäckstücken hineinzwängten.
Es waren jene altmodischen Wagons, die man heute nur noch in alten englischen Filmen sieht, ohne Gang oder Verbindungstüren zwischen den engen Abteilen mit den beiden gegenüberliegenden, quer zur Fahrtrichtung aufgestellten Sitzbänken, so daß man jedes einzelne Abteil nur durch die Außentüren betreten konnte. Diese Türen waren wiederum insofern ein Kuriosum, als sie aus Sicherheitsgründen nur von außen geöffnet werden konnten, man also beim Aussteigen, wenn nicht gerade zufällig ein anderer durch dieselbe Tür einsteigen wollte, erst das Fenster herunterlassen und sich hinauslehnen mußte, um den äußeren Türgriff zu erreichen und auf diese etwas umständliche Weise das Abteil verlassen zu können.
Ich hatte das Abteil betreten, meine Koffer auf dem Gepäcknetz über den Sitzen abgelegt und darunter Platz genommen. Mir gegenüber hatte ein Engländer das gleiche getan. Als der Zug sich leicht schaukelnd in Bewegung setzte, fiel mir auf, daß der Koffer meines Gegenübers noch größer und breiter war als die meinen und auf dem schmalen Gepäcknetz über dem Kopf des Mannes, der geruhsam seine Zeitung zu lesen begonnen hatte, bedrohlich schwankte. Weil ich fürchtete, daß bei einer plötzlichen Bremsung der Koffer seinem ahnungslosen Besitzer auf den Kopf fallen könnte, faßte ich mir nach ein paar bangen Minuten ein Herz und sprach, mit etwas schüchternen Gesten auf das drohende Unheil deutend, den mir Gegenübersitzenden mit den Worten an “Excuse me, I think that’s dangerous!” - also “Entschuldigen Sie, ich glaube, das ist gefährlich!”.
Ich war mir bewußt, daß mein Englisch damals noch recht holprig war, aber bei einer so simplen Bemerkung konnte ja eigentlich kaum etwas schief gehen, dachte ich. Mein Gegenüber sah mich fragend an, aber verstand mich nicht. Ich deutete wieder auf das Gepäcknetz über ihm und wiederholte meinen Satz. Auch diesmal wurde ich nicht verstanden. Neben mir saß ein weiterer Engländer, der, weil er sehen konnte, was ich seinem Landsmann vergeblich zu bedeuten versucht hatte, nun für mich in die Bresche sprang und das, worauf es ankam, mit seinen Worten sagte: “Do you think that’s quite safe?” - “Glauben Sie, daß das da ganz sicher ist?”. Er wurde sofort verstanden. Sein Landsmann blickte nach oben, erhob sich, nahm den Koffer vom Gepäcknetz, wir schoben die Knie zusammen, er stellte den Koffer vor sich ab, bedankte sich und nahm wieder Platz.
Was war geschehen? Ich war davon überzeugt, daß es hier nicht an meiner schlechten englischen Aussprache lag, mein Gegenüber jedes einzelne meiner Worte verstanden hatte, aber nicht den Sinn meines Satzes, der trotz der unterstützenden Gesten für einen Engländer offenbar nicht zu verstehen war.
Worin lag nun der Unterschied zwischen meiner Bemerkung und der des anderen? Ich hatte mich nach meiner kleinen Entschuldigungsfloskel unvermittelt an einen Fremden gewandt und ihn mit einer dezidierten Aussage überfallen; dabei hatte ich sie ungeschickterweise mit dem Bekenntnis “ich glaube” eingeleitet. Im übrigen hatte ich statt von einem Risiko von einer Gefahr gesprochen.
Mein Nebenmann hatte stattdessen nichts weiter getan, als das von mir Gemeinte in Form einer rhetorischen Frage auszudrücken. Er hatte auf den Sachverhalt hingewiesen, im übrigen aber dem Betroffenen die Freiheit der Entscheidung gelassen, nach eigener Einschätzung des Risikos darauf zu reagieren beziehungsweise mit einem Dankeschön die Sache auf sich beruhen zu lassen und gar nichts zu unternehmen.
Natürlich hatte ich in bester mitmenschlicher Absicht gehandelt, aber in einer Situation, die primär einen anderen betraf, interveniert, mir ungebeten ein Urteil erlaubt und dabei naiverweise unterstellt, daß der Betroffene schon aus eigenem Interesse sich meinem Urteil anschließen werde. Mein englischer Nebenmann war, nachdem ich die Initiative ergriffen hatte, zwar auch seiner Verpflichtung zur vorbeugenden Hilfeleistung nachgekommen, hatte aber über seinen Landsmann nicht einfach verfügt, sondern ihm die Entscheidungsfreiheit gewährt, das für ihn Sinnvolle zu tun. Weil der Engländer durch Erziehung und lange Tradition nur auf diese zweite Art der Zuwendung programmiert ist und mit einer anderen gar nicht rechnet, war ich nicht verstanden worden.
Grußformeln sind die uns unbewußt gewordenen Gesten, mit denen wir den Abstand zum anderen überbrücken wollen. Ein Vorhaben, das nur gelingen kann, wenn beide Seiten dieselbe Sprache sprechen, das heißt die Bedeutung der Worte und Gesten kennen und die Grammatik der Grußrituale beherrschen. Daß die verschiedenen Völker manchmal sehr verschiedene Grußformeln entwickelt und die Kenntnis der Regeln des Umgangs zur Bedingung der Möglichkeit jeglicher Kommunikation gemacht haben, wird dem Ausländer zum Problem, einem nur scheinbar harmlosen Problem, das mir noch viele Jahre nach meiner Übersiedlung nach London zu schaffen machte.
Während man noch mit dem Elementaren der Sprache als solcher rang, ging einem auf, daß es ganz andere Schwierigkeiten gab, die mit dem uns fremden Verhalten der Leute zu tun hatten. Es wurde wichtig herauszufinden, wo und warum sich die anderen anders verhielten, und sich darauf einzustellen. Eine Aufgabe, die besonders am Anfang, da man sich der Unterschiede erst gerade bewußt wird und dabei merkt, wie tief auch die eigenen Verhaltensweisen eingeprägt sind, wie automatisch wir selbst reagieren, fast unlösbar erschien.
Wie bei einem Schachspiel kam es bei jeder Begegnung schon auf die ersten Züge an. Schon das Eröffungsspiel brachte die Vorentscheidung über den weiteren Verlauf der Begegnung. Nur daß es hier nicht darum ging, den Partner zu schlagen, ihn zu besiegen: bei diesem Spiel konnten immer nur beide Partner gewinnen oder beide verlieren.
Da gab es zum Beispiel den Komplex Wettergespräche, der für mich von Anfang an dieselbe Rolle spielte wie der Tigerkopf in der Silvesterfarce ‘Dinner for One’. Als Kindern hatte man uns beigebracht, Wettergespräche zu vermeiden. Wer über das Wetter rede, gebe damit zu erkennen, daß er nichts besseres oder wichtigeres zu sagen habe. In England dagegen schien jede Kommunikation bei jeder Art von Begegnung mit einem Austausch von Bemerkungen über das Wetter zu beginnen: ob auf der Straße zwischen Fremden oder Bekannten, in den kleinen Geschäften, bei einem Wortwechsel mit dem Briefträger oder dem Milchmann, mit Kollegen im Büro und selbst bei allen wichtigeren Anlässen.
Nun war ich zwar bereit, den Leuten zugutezuhalten, daß im Vergleich zu kontinentaleuropäischen Zonen sich über das englische Wetter sehr viel mehr sagen ließ, weil es sich über der Insel wirklich drei- bis viermal täglich änderte. Es gab also einfach ‘viel mehr Wetter’. Der ständige Wechsel lieferte ständig neuen Gesprächsstoff, neue Anlässe, die augenblickliche Wetterlage mit der des Vor- oder Nachmittags, des gestrigen Tages oder der vorigen Woche zu vergleichen oder ganz allgemein darüber zu spekulieren, ob es der Jahreszeit entspreche, zu heiß oder zu kalt, zu naß oder zu trocken oder aus irgendwelchen anderen Gründen bemerkenswert sei.
Dabei verstand ich lange nicht, daß es beim Austausch der Ansichten über das Wetter auf die meteorologischen Fakten gar nicht ankam, die Aussagen völlig beliebig waren. Dieselben Leute hätten bei denselben Wetterbedingungen die Unterhaltung mit einem Satz beginnen können, der genau das Gegenteil besagte. Etwas ganz anderes aber schien entscheidend wichtig zu sein: Die Wettergespräche waren ein Ritual mit für jeden, der sich darauf einließ, verbindlichen Spielregeln. Ein Ausländer mochte schon jahrelang in England gelebt haben und in der Lage sein, sich über jeden ernsten Sachverhalt zu verständigen. Selbst wenn er den Tonfall der englischen Sprache einigermaßen nachzuahmen gelernt hatte – an der mangelnden Beherrschung der Regeln für die ritualisierten Wettergespräche gab er sich als der ewige Fremdling zu erkennen. Da waren die einen, die auf jede beliebige Aussage zur Wetterlage vollkommen spontan, vollkommen gelöst richtig zu reagieren wußten, die absurde Logik des korrekten Verlaufs einer solchen Konversation so perfekt innerviert hatten, daß sie für jede der inhaltlich belanglosen Phrasen unfehlbar die jeweils richtige Antwort kannten.
Die anderen aber mochten sich mühen so lange sie wollten: Im Lackmustest der Wettergespräche kam der Unterschied zwischen Einheimischen und Zugereisten mit peinlicher Deutlichkeit an den Tag. Es schien hier etwas zu geben, was man gleichsam mit der Muttermilch eingenommen haben mußte, um jederzeit spontan das von den anderen Erwartete tun zu können.
Dabei war das Prinzip eigentlich ganz einfach. Wettergespräche waren nichts anderes als die erste Geste der Aufnahme eines Kontaktes, der ein Interesse am anderen bekunden (oder auch nur vortäuschen) sollte, aber – um jeden Verdacht der Aufdringlichkeit zu vermeiden – im Niemandsland der unverbindlichen, nichtssagenden Rede verbleiben mußte. Was dabei jeweils gesagt wurde, war irrelevant; nur auf die richtige Art des Reagierens kam es an.
Der erste Satz war beliebig. Die darauf folgenden Sätze aber hatten sich stets auf den vorausgegangenen zu beziehen und wie in einem musikalischen Kontext das Thema zu variieren. Wenn Aussage A lautete: ‘Schöner Tag heute, nicht war?’, mußte Aussage B sie zunächst einmal uneingeschränkt, aber mit anderen Worten bestätigen, selbst wenn der Angesprochene das Wetter geradezu lausig fand. Die dieser ersten Replik folgenden Aussagen C und D waren in der Regel eine inhaltliche Wiederholung der Aussagen A und B, wobei nur wieder neue Worte verwendet werden mußten. Frühestens in Aussage E war es erlaubt, einen Schritt weiter zu gehen und einen neuen Aspekt einzuführen, etwa die Bemerkung, daß man nach den Stürmen der letzten Woche schon dankbar sei, daß es aufgehört habe zu regnen. Dies durfte als erste Einschränkung der bis dahin ausschließlich positiven Aussagen zur Wetterlage verstanden werden, so daß nun in Aussage F weitere Aspekte eher negativen Inhalts genannt werden konnten, die den wahren Gefühlen der zweiten Person über den trüben herbstlichen Nachmittag schon viel mehr entsprechen mochten. Diese neuen Aspekte konnten von Person Eins wiederum bestätigend aufgegriffen werden und über einen abschweifenden Vergleich mit dem Wetter des vorigen Monats oder des vergangenen Jahres schließlich zu einer Reihe von ebenso unverbindlichen Aussagen führen, die inhaltlich auf das Gegenteil dessen hinausliefen, was die Aussagen A und B, mit denen die Unterhaltung begann, ausgedrückt hatten.
Daß sich das Gespräch inzwischen um hundertachtzig Grad gedreht hatte, konnten die Partner schon deshalb nicht zur Kenntnis nehmen, weil es ihnen ja auf den Inhalt ihrer Aussagen nicht ankam, es gar kein wirkliches Gespräch gegeben hatte und der Wortwechsel über das Wetter nur zu dem Zwecke zustandegekommen war, einen ersten Kontakt aufzunehmen, den weiterzuführen von beiden Seiten aus nicht das geringste Interesse bestand.
Was den Ausländer in England also zunächst am meisten verwirrt, sind die ihm nicht vertrauten Formen des sprachlichen Umgangs. Worüber der Engländer wann und wie spricht oder zu sprechen sich weigert; wie er sich wortlos mitteilt oder auf eine Konversation sich einläßt und wortreich mitredet, ohne das geringste zu sagen; wie manche Sätze gerade das Gegenteil von dem bedeuten, was sie ausdrücken – all dies muß auf den Uneingeweihten verunsichernd wirken.
Und es fällt manchmal schwer zu glauben, daß die Verwirrung und Verunsicherung des Fremden nur zufällig geschieht und nicht auch mitunter absichtlich herbeigeführt wird.
Mit dem Unterschied von Sagen und Meinen tut sich der Deutsche besonders schwer. Er hält es für einen Vorzug, unter allen Umständen bei der Wahrheit zu bleiben, andere lieber vor den Kopf zu stoßen, als nicht stets offen zu sagen oder zu zeigen, was er wirklich fühlt und denkt. Schon Formen der Höflichkeit, die ein gewisses Maß an Selbstdisziplin erfordern, sind ihm suspekt, da sie den ungeschönten Ausdruck der wahren Gefühle filtern und darum in den Verdacht der Unehrlichkeit geraten.
Für den Engländer sind dagegen Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit keine absoluten Tugenden. Die rücksichtslose Egozentrik dessen, der es für unredlich hält, sich selbst Gewalt anzutun, und dafür lieber die Verletzung der Gefühle des anderen in Kauf nimmt, ist ihm ganz fremd. Er kann nicht begreifen, daß einer auf seine Geradlinigkeit sich etwas zugute hält. Die Gerade ist für ihn nicht die kürzeste Verbindung zwischen zwei Personen, “so als ob sie Punkte wären”. Das direkte Wort, das unverblümt dem anderen die eigene Meinung sagt, wirkt auf ihn aggressiv und darum bedrohlich. Er mag nicht, daß man ihm so nah auf den Leib rückt, bis jeder Abstand überwunden ist und man sich nackt und roh gegenübersteht.
Bei aller Kontaktbereitschaft, die der Engländer stets zu erkennen gibt, hat er ein hoch entwickeltes Gespür für die Aufrechterhaltung der Distanzen, für altmodische Formeln des verbalen und gestischen Umgangs, die dem andern die Chance erhalten, sich selbst und das Seine vor Zudringlichkeit zu schützen. So bleibt die Konversation zwar fast immer, mit wenigen Ausnahmen, beim Belanglosen, aber es finden auch keine Verletzungen statt.
Hat man sich oberflächlich kennengelernt, unter Einhaltung der jedermann selbstverständlichen gegenseitigen Rücksichtnahme, manchmal bis an die Grenze zur Heuchelei; und ist man einander öfter begegnet, vielleicht in einer beruflichen Verbindung, die für beide Seiten angenehm gewesen zu sein schien, nun aber an dem Punkt angelangt ist, daß sich, wenn beiden daran gelegen wäre, ein persönlicheres Verhältnis, eine Art Freundschaft entwickeln könnte – dann verspricht man sich meistens zum Abschied “Keep in touch!”, wörtlich “Wir bleiben in Kontakt!”. Es ist ein Code-Wort, das nur ein Nicht-Engländer mißverstehen könnte als Ausdruck des Wunsches, einander bald wiederzusehen, wo es in Wirklichkeit doch nur das Gegenteil meint; ein Signal, daß einem an der Fortführung und Erweiterung des Verhältnisses ins Private nicht gelegen ist.
Ein deutscher Kollege, der schon länger in England gelebt hatte, vertrat vor einem kleinen Kreis seiner deutschen Bekannten, die er in sein mit deutscher Sorgfalt renoviertes südlondoner Haus eingeladen hatte, irgendwann die überraschende Ansicht: In England schließe man Bekanntschaft, und wenn man sich leiden möge, lade man sich gegenseitig hin und wieder ein und verstehe die Verbindung als Freundschaft. Es sei freilich immer eine englische Freundschaft, ein Verhältnis also, bei dem man sich stets gleich nah oder fern bleibe; mit einem Wort, die Freundschaft wachse nicht. Dies führe dann bald zu dem Punkt, an dem die Verbindung langweilig werde und nur aus Gewohnheit weiter laufe, bis sie kraftlos verende. Gegen dieses Muster, den in England offenbar typischen Verlauf einer Bekanntschaft, habe er lange vergeblich angekämpft. Inzwischen habe sich die Erfahrung so oft wiederholt, daß er nun dazu übergegangen sei, jedes Jahr den ganzen Satz seiner englischen Bekannten auszuwechseln.
Die versammelten Germanen fanden die Geschichte amüsant und witzig. Die Art, wie der Kollege mit dem Problem zurechtgekommen war, wie er aus Erfahrungen gelernt und danach konsequent gehandelt hatte, imponierte uns. Und dann vergaßen wir den lustigen Vorgang – bis mir einige Jahre später aufging, daß ich mit meinen englischen Bekannten ja eigentlich dasselbe erlebt hatte, die Verbindungen immer nur relativ kurze Zeit – meist ein oder zwei Jahre – hielten und dann, weil man sich wirklich nicht näherzukommen schien, ohne erkennbaren Grund oder Anlaß wieder zuendegingen.
Was wir unter Freundschaft im emphatischen Sinne verstanden, kam bei den Engländern offenbar noch seltener vor als anderswo. Vielleicht waren sie sich dieses Unvermögens in den Tiefen ihrer pragmatischen Seelen ahnungsvoll bewußt und wichen darum jeder Begegnung, die mehr als bloße Bekanntschaft zu werden drohte, aus, flüchteten, wenn es drauf ankam, ins unverbindliche “Keep in touch!”, was die bis dahin sichere, weil begrenzte Verbindung erstarren ließ und über den Abschied gleichsam die Fermate setzte.
Wer die durchaus freundlich gemeinte Phrase aussprach, die die Möglichkeit eines geplanten Wiedersehens in Aussicht stellte, ohne sie ernsthaft in Betracht zu ziehen, ging davon aus, daß keiner so naiv wäre, sie beim Wort zu nehmen, das zur Einlösung verpflichte. Da niemand getäuscht werden sollte, waren Begriffe wie ehrlich und unehrlich einfach unangebracht.
Ein deutscher Philosoph, der in die Fremde verschlagen wurde, hat einmal gesagt: “Der Deutsche ist ein Mensch, der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben”. Da soll er begreifen, daß jemand, um einen anderen zu schonen, ihm die Wahrheit kränkender Gefühle vorenthält?
In einer Warnung an alle Anfänger im Studium der englischen Seele hat der ungarische Autor George Mikes auf einen wichtigen Unterschied hingewiesen: “Auf dem Kontinent lügen die Leute oder sie sagen die Wahrheit; in England lügt man fast nie, aber keiner ließe sich träumen, je die Wahrheit zu sagen”.
Wer über Unterschiede der Menschen verschiedener Länder sich Gedanken macht, bringt sich in tausend Verlegenheiten. Alle Aussagen, alle Vergleiche, die auf persönliche Erfahrung rekurrieren, geraten nicht grundlos in den Verdacht der Einseitigkeit. Selbst wer sich generell schwertut, in seinem gesellschaftlichen Umfeld aufzugehen, andere für sich denken und entscheiden zu lassen, sich darum auch im heimischen Milieu in einer Art Außenseiterrolle sieht, fühlt sich im Ausland unausweichlich an seine Herkunft gebunden. Erschreckt nimmt er zur Kenntnis, daß auch er, wie alle anderen meist unbewußt, sich mit einer Eigengruppe identifiziert und dazu neigt, das ihm Fremde als das weniger Gute wertend zu verstehen.
“Diese Engländer machen mich wahnsinnig”, meinte ein deutscher Bekannter, der seit Jahren in London lebte. “Versuchen Sie mal, einen Handwerker zu finden, der einer Aufgabe wirklich gewachsen ist, die man ihm im Rahmen seines Berufes bedenkenlos zumuten können sollte!”.
Ich wußte, wovon er sprach, weil es mir ähnlich ergangen war. Bevor ich Ende der sechziger Jahre mit Frau und Sohn nach London übersiedelte, hatten wir es für ratsam gehalten, zunächst eine Erkundungsreise zu unternehmen, um herauszufinden, ob und wie sich das Vorhaben verwirklichen ließe. Über eine entfernte Verbindung, den Bekannten eines Bekannten meines Schwiegervaters, hatten wir die Adresse einer Familie bekommen, die bereit war, uns für ein kleines Entgeld als zahlende Gäste aufzunehmen. Die Familie stammte aus Indien, schien aber schon sehr lange in England zu leben. Das kleine Reihenhaus war vollgestopft mit nutzlosem Zierrat, eine schaurige Ansammlung von Kitschgegenständen indischer und britischer Konvenienz. In der Mitte des Wohnzimmers stand ein altes Fernsehgerät, zu dem man uns ab und zu einlud, damit wir die Abendnachrichten der BBC sehen und hören konnten.
Es war ein dunkelbrauner Kasten, bei dem die hintere Abdeckplatte fehlte, so daß man ins Innere des Gehäuses hineinschauen konnte. Die Anschlußbuchse für die auf dem Kasten stehende Zimmerantenne wie alle übrigen Teile der Apparatur lagen offen. Nach hinten hing ein Elektrokabel heraus. Der An- und Ausschalter des Gerätes schien nicht zu funktionieren. Wollte man es in Betrieb setzen, mußte man die beiden nackten Drähte des steckerlosen Kabels vorsichtig in die für Plus und Minus vorgesehenen Löcher der Steckdose einführen. Aus der Steckdose kam ein kleiner Blitz, und dann begann wie durch ein Wunder der Bildschirm zu flimmern.
Die Geschichte wäre nur halb so schön gewesen, hätten wir nicht auf die arglose Frage, was der Hausherr beruflich tue, die Antwort bekommen, er sei Fernsehtechniker.
Man hatte uns ein winziges Zimmer im zweiten Stock zur Verfügung gestellt. Störend war nur die Tatsache, daß man die Tür der Kammer nicht schließen konnte. Selbst wenn man sie mit aller Kraft an den Rahmen heranzog und dann erst die Klinke niederdrückte, sprang die Tür wieder auf. Sie hing an Scharnieren, die mich an die alten Kaninchenverschläge meiner Dorfkindheit in Hessen erinnerten. Diese Scharniere nun waren mit je vier Schrauben an Tür und Rahmen befestigt, doch saßen die Schrauben darin so schief, daß die Köpfe aus den Scharnieren herausragten und auch mit einem starken Schraubenzieher nicht weiter angezogen werden konnten. Es sah aus, als habe man beim Befestigen der Scharniere die Löcher nicht vorgebohrt, stattdessen die Schrauben angesetzt und mit einem Hammer ins Holz geschlagen. Die Tür hatte sich nicht etwa erst mit den Jahren verzogen, sondern war offenbar schon beim Bau des Hauses so angebracht worden, daß man sie nicht schließen konnte; was weder den Hausherrn, noch die Handwerker, noch alle späteren Bewohner des Hauses gestört zu haben schien.
Als ich einem deutschen Onkel, der von Beruf Schreiner war, die Geschichte erzählte, schmunzelte er. Schon in seiner Lehrzeit Anfang der dreißiger Jahre habe man dieses Verfahren, eine schief angesetzte Schraube mit einem Schlag auf den Kopf sich gefügig zu machen, gekannt. Wer dabei ertappt wurde, habe mit einer Bestrafung des Lehrherrn rechnen müssen. Man habe es “englisch schrauben” genannt.
Viel später, beim Herrichten der eigenen Wohnung, beim Kauf alter englischer Möbel, die ich zu reparieren versuchte, erst recht beim Erwerb eines vor dem ersten Weltkrieg erbauten Hauses, das wir beim Renovieren vom Fundament bis zum Dachfirst gründlich kennenlernten, kamen wir zu der Überzeugung, daß sich die Verhältnisse in Großbritannien in dieser Hinsicht nicht erst nach dem verlustreich gewonnenen zweiten großen Krieg drastisch verschlechtert hatten. Die Leute schienen sich seit langem an den dürftigen Standard gewöhnt zu haben und ihn für ganz normal zu halten. Inzwischen aber war es vor allem in London schwierig geworden, einen Handwerker zu finden, der in der Lage gewesen wäre, die Hoffnung, er verstehe etwas von seinem Fach, nicht zu enttäuschen.
Die vor allem im Ausland noch immer verbreitete Vorstellung von britischer Wertarbeit war offensichtlich ein Mythos. Das Sprichwort ‘Handwerk hat goldenen Boden’ wäre hier nicht verstanden worden. Wenn das Handwerk in England je einen Boden hatte, dann schien er vor langer Zeit schon herausgefallen zu sein. Und daß es früher wie heute einige industrielle Bereiche gab, in denen noch gut gearbeitet wurde, waren Ausnahmeerscheinungen, die als solche nur die allgemeine Misere bestätigten. (So meine kritische Bestandsaufnahme von damals, die so allgemein heute gottlob nicht mehr ganz zutrifft).
Der naive Kontinentaleuropäer brauchte eine Weile, bis er begriffen hatte, wie es zu dieser Situation gekommen war. Daß die englischen Handwerker mit vielen ihrer kontinentaleuropäischen Kollegen nicht konkurrieren konnten, hatte nicht etwa damit zu tun, daß sie für handwerkliche Tätigkeiten weniger begabt gewesen wären. Es lag einfach an der Tatsache, daß es in Großbritannien so gut wie keine Lehrausbildung mehr gab, keine gesetzlichen Rahmenbestimmungen über Rechte und Pflichten von Auszubildenden, keine Betriebe, die Lehrlinge aufnahmen, keine Berufsschulen und, wie es schien, auch keine jungen Leute mehr, die in dem Bestreben, einen gewählten Beruf gründlich zu erlernen, drei Jahre lang für ein Lehrlingsgeld zu arbeiten bereit gewesen wären. Jeder konnte ohne fachliche Qualifikation fast jeden beliebigen Beruf ausüben, brauchte keine Lizenz, um als Zimmermann, Elektriker oder Klempner Dächer aufziehen, Elektroleitungen legen oder Gasheizungen installieren zu können. (Für Arbeiten mit Strom und Gas hat sich dies erst seit den Jahren 2005 bzw. 2009, vermutlich durch Druck von Seiten der EU, geändert). Die meisten Handwerker waren von Kollegen, denen es früher selbst nicht anders ergangen war, ein wenig angelernt worden. Der eine oder andere hatte bestenfalls in Abendstunden für ein paar Wochen einen Schnellkursus absolviert und galt damit bereits als in besonderem Maße ‘qualifiziert’. Nur die Stundenlöhne, die sie berechneten, entsprachen der professionellen Norm.
Auch daran schien man sich längst gewöhnt zu haben. Wer mehr oder anderes, nämlich besseres erwartete, galt als Perfektionist (ein Ausdruck mit eindeutig abwertender Bedeutung) und wurde mitleidig belächelt. Der galloppierende Wahnsinn des wildwüchsig freien Marktes, in dem jeder bedenkenlos und ohne Rücksicht gegen sich selbst und alle anderen seinen schnellen Profit zu machen bemüht war, zukunftsblind, ohne jede sinnvolle staatliche Führung und Anleitung oder ein funktionierendes System der Erziehung und Ausbildung, hatte sich durchgesetzt, mit verheerenden Folgen.
Anfang der achtziger Jahre kam ich in der nordlondoner Pub ‘The Flask’ mit einem Engländer ins Gespräch, der sich sehr dafür zu interessieren schien, daß ich einige Zeit davor ein Haus erworben hatte. Auf umständlich höfliche Weise versuchte er herauszufinden, wie ich dazu gekommen war, in welcher Straße es lag, in welchem Zustand es gewesen sei und was ich zur Renovierung und Verschönerung des Hauses habe tun müssen. Es stellte sich heraus, daß der Mann von Beruf Makler war und eine der Agenturen leitete, die damals, zu Beginn des großen Booms auf dem britischen Wohnungsmarkt, wie Pilze nach warmen, verregneten Spätsommertagen aus dem Boden schossen. Sein Interesse war also eher fachlicher Natur, und er hatte wohl das Gefühl, dem Ausländer, der sich in London niedergelassen hatte, den einen oder anderen guten Rat über die Gepflogenheiten in Großbritannien, was den Kauf und Verkauf von Häusern und Wohnungen anging, geben zu müssen.
Ich ließ ihn freimütig wissen, daß die Bausubstanz meines damals siebzig Jahre alten Hauses zwar im Vergleich zu den benachbarten Häusern noch sehr gut gewesen sei, ich es aber für sinnvoll gehalten habe, das Gebäude vom Erdgeschoß bis zum Dach gründlich renovieren zu lassen, Doppelglasfenster einzusetzen (die man in England damals noch für einen Luxus hielt), die Außenmauern gegen Feuchtigkeit zu isolieren und der Fassade einen neuen Anstrich zu geben.
Freundlich besorgt meinte der Makler: “Sie müssen vorsichtig sein. Wissen Sie, man kann ein Gebäude auch übererhalten”. Ich wußte vor allem: daß er hier einen Ausdruck gebrauchte, den es weder im Deutschen, noch im Englischen gab, nicht geben konnte, und den er für mich, den mit den Gebräuchen des Landes offenbar nicht genügend vertrauten Fremden, eigens erfunden hatte, für eine Situation, die einem Engländer so abwegig erscheinen mußte, daß die englische Sprache auch kein passendes Wort dafür hatte.
Obwohl ich ahnte, was er mir sagen wollte, tat ich erstaunt. Ein Haus “überzu-erhalten”, das sei doch wohl nicht möglich. “Aber ja, doch!”, meinte er. “Sie dürfen zur Erhaltung eines Gebäudes nur soviel ausgeben, daß Sie beim Verkauf des Hauses in ein paar Jahren nicht nur das Geld, das Sie investiert haben, zurück bekommen, sondern auch genügend Profit machen”.
Ich gab ihm zu verstehen, daß es mir gar nicht in den Sinn käme, ein erst vor so kurzer Zeit erworbenes Haus in guter Wohnlage mit großem Garten und all den Annehmlichkeiten, die es sonst biete, ohne Not wieder zu verkaufen. In England aber hatte man sich, wie ich wußte, spätestens seit den siebziger Jahren auf einen ganz anderen Trend eingespielt. Weil man, vor allem in den Großstädten, so gut wie keine leeren Mietwohnungen mehr bekommen konnte und die Thatcher-Regierung dafür gesorgt hatte, daß auch viele Gemeindewohnungen in Privateigentum verwandelt wurden, war fast jeder, der eine Wohnung brauchte, gezwungen, sie käuflich zu erwerben; was die meisten natürlich nur mit Hilfe relativ hoher Hypotheken sich leisten konnten, zu deren Abzahlung man in der Regel zwei Gehälter brauchte.
Der von der Regierung Thatcher in den achtziger Jahren kreierte Boom auf dem Wohnungsmarkt basierte auf dem Prinzip der beschleunigten Zirkulation. Jeder war darauf aus, eine eigene Wohnung zu kaufen, darin nur kurze Zeit zu leben, sie oberflächlich zu ‘renovieren’ und dann mit Gewinn wieder zu veräußern, um sich die nächst bessere Wohnung, das nächst größere Haus zu kaufen und so mit Hilfe mehrerer Wohnungswechsel auf der Leiter des Wohlstands, an den die Leute inzwischen wie an ein Evangelium glaubten, höher und höher zu steigen.
Die Preise explodierten. Manche Häuser in guten und mittleren Wohnlagen Londons, die zu Beginn des Booms verkauft worden waren, wurden zehn Jahre später bereits für ein Zehnfaches ihres früheren Wertes gehandelt. Die höchsten Gewinne in diesem Spiel, bei dem es darauf ankam, das, was man besaß, mit Profit zu veräußern und den Erlös zum Erwerb eines wertvolleren Objekts zu verwenden, machten natürlich die, denen es gelang, bei der Präparierung ihrer Häuser und Wohnungen für den Verkauf möglichst wenig Geld auszugeben, also durch einen flüchtigen Anstrich der Fassade oder der Fensterrahmen die ärgsten Schwächen und Schönheitsfehler notdürftug abzudecken und eine echte Renovierung nur vorzutäuschen.
Dieses an sich schon früher bekannte und gern geübte Verfahren führte dazu, daß die bauliche Substanz der Häuser mehr und mehr verfiel. Auch die Baufirmen und Handwerker, die man zur Ausführung der notwendigen Arbeiten engagierte, reagierten überrascht oder verärgert, wenn man ihnen zumutete, sorgfältiger zu arbeiten als die meisten ihrer Auftraggeber es wünschten, denen ja an möglichst billigen Lösungen gelegen war. Schließlich waren sie, die Handwerker, die allesamt keine richtige Ausbildung mehr gehabt hatten, auch gar nicht mehr in der Lage sich vorzustellen, daß man sie nicht nur zu dem Zwecke angestellt hatte, Potemkinsche Dörfer zu bauen.
Und wer sich als Bauherr, als Haus- oder Wohnungseigentümer auf den niedrigen Standard, den alle für normal hielten, nicht einlassen wollte, dem halfen weder Geld noch gute Worte. Es nützte ihm nichts, daß er vor der Vergabe des Auftrags darauf hingewiesen hatte, er wünsche sich wirklich gute und gründliche, nicht schnelle und billige Arbeit. Hatte man einen größeren Auftrag einmal vergeben, schienen die Bedingungen, unter denen dies geschehen war, keine Rolle mehr zu spielen, so als habe es sich dabei nur um ein paar unverbindliche, freundlich ermutigende Floskeln gehandelt, statt um die Konditionen eines Vertrags.
Im übrigen aber wurde jede Form von Kontrolle, gar die genaue Überprüfung der geleisteten Arbeit, von den Handwerkern als unzumutbare Provokation empfunden und jede noch so berechtigte Kritik als Kriegserklärung und ersten Akt einer feindseligen Auseinandersetzung, bei der es, weil die Arbeiter selbst in der Regel nicht fest angestellt waren und von der Firma wochenweise beschäftigt wurden, nur einen Verlierer geben konnte.
Bei einem Gespräch mit dem Dichter Erich Fried, der als Flüchtling vor den Nazis nach England kam und hier eine zweite Heimat fand, stellte ich ihm die Frage, was ihm an diesem Land am meisten gefalle. Fried antwortete: die Begabung der Engländer zur Gelassenheit, ihre beneidenswerte Fähigkeit, selbst in extremen Krisen Gleichmut zu bewahren.
Gleichmut, heißt es im ‘Deutschen Wörterbuch’ der Brüder Grimm – Gleichmut ist die “bezeichnung einer gleichbleibenden seelischen verfassung”, “gelassenheit, geduld, innere ruhe und festigkeit, besonnenheit, leidenschaftslosigkeit, vor allem als kennzeichnung einer angeborenen oder erworbenen grundhaltung”, – “seltener im sinne von gleichgültigeit”.
Die an uns Deutschen zweifellos weniger auffallend entwickelte Begabung zu Gleichmut und Gelassenheit hat also auch eine andere Seite, als Neigung zur Gleichgültigkeit, die einen verfahrenen Zustand lieber auf sich beruhen läßt, statt sich zu bemühen, ihn zu ändern.
Die törichte Vorstellung ‘English is best’ hat sich selbst bei gebildeten Engländern wie ein Aberglaube festgesetzt, von dem sie nicht lassen wollen und, weil er den Kindern schon in der Schule suggeriert wird, vielleicht gar nicht lassen können. Bezeichnend ist dafür der Satz des englischen Kolonialisten Cecil Rhodes: “Bedenke, daß du ein Engländer bist und damit den ersten Preis in der Lotterie des Lebens gewonnen hast”. Dieser Wahn, von konservativen Institutionen in Großbritannien noch immer künstlich am Leben erhalten, hat der Neigung, selbst mit unerträglichen Zuständen sich abzufinden, offensichtlich Vorschub geleistet.
Freilich wären die Verhältnisse nicht so wie sie sind, wenn sie von denen, die sie produzieren und darum auch ändern könnten, als unerträglich empfunden würden. Ob wir einen Zustand für normal halten oder Probleme damit haben, hängt absolut von relativen Bedingungen ab. Und es liegt eigentlich auf der Hand, daß nicht nur der Einzelne persönliche Prioritäten hat, sondern auch ganze Völker wie durch geheime Absprache sich auf bestimmte Prioritäten geeinigt und so Gewohnheiten und Verhaltensweisen entwickelt haben, die anderen fremd erscheinen.
Was wir von uns und anderen erwarten, ist geprägt von den Erwartungen und Verhaltensweisen, die uns seit der Kindheit vertraut sind. Doch was uns selbstverständlich ist, muß für die Menschen eines anderen Landes durchaus nicht selbstverständlich sein. Solange es mir nicht gelingt, die in fremder Umgebung herrschenden Verhältnisse für normal zu halten, den inneren Widerstand gegen das, was ich als fremd empfinde, aufzugeben, wird mir das Land und seine Menschen fremd bleiben und ich ein Fremdling unter ihnen. (Dies gilt natürlich auch für die vielen, die heute aus anderen Teilen der Welt nach Deutschland gekommen sind und hier eine neue Heimat gefunden haben).
Ich spreche dabei auch von meinen eigenen Schwierigkeiten. Als Deutscher, der sich vor vielen Jahren in England niederließ, war ich lange davon überzeugt, ich hätte mich halbwegs erfolgreich bemüht, mich den Gepflogenheiten des Landes anzupassen; bis ich den Selbstbetrug durchschaute und begriff, daß ich vor der Aufgabe vermutlich versagt hatte, ihr möglicherweise nicht gewachsen war.
Und plötzlich ging mir auf: Das konnte der Grund dafür gewesen sein, daß ich immer wieder in Situationen hineingeriet, die einem Briten vermutlich erspart geblieben wären. Einige der Situationen waren so grotesk, daß sie mir später, wenn ich daran dachte, vorkamen wie Sequenzen aus einem Buster-Keaton-Film.
Versuchen Sie einen Augenblick, sich die folgenden Szenen auszumalen : Ein Mann hat ein Haus gekauft und freut sich über das gute Geschäft, das er gemacht zu haben glaubt, bis er bemerkt, daß die Fenster nicht schließen, es keine Zentralheizung gibt und das Dach an vielen Stellen undicht ist. Nichts einfacher als das, denkt er in seiner Naivität und bestellt neue Doppelglasfenster, läßt sich einen Heizungsingenieur kommen und gibt einer Firma den Auftrag, das Dach neu zu decken.
Die Fenster werden geliefert, aber man hat sich vermessen; sie passen nicht und werden zurückgeschickt. Ein zweiter Satz neuer Fenster wird angeliefert, die wieder nicht passen und wieder zurückgeschickt werden. Bei der dritten Lieferung stimmen die äußeren Maße, nur hat man diesmal die Griffe vergessen; bei einigen passen die Bauteile nicht zusammen, andere kann man nicht öffnen und einige sind so verschnitten, daß man durch die Spalten im Rahmen den Rasen im Garten sehen kann. Schließlich kapituliert die Firma vor der eigenen Inkompetenz und kehrt an den Ort ihrer Untaten nicht mehr zurück.
Der zweite Akt beginnt mit dem Auftritt der Klempner, die gekommen sind, die neue Heizung zu installieren. Sie reißen die alten Dielenböden auf, verlegen Gas- und Wasserrohre, nageln die Dielen wieder fest – und treffen die neuen Heizungsrohre. Am nächsten Tag tropft es durch die Decke eines darunter liegenden Zimmers. Die Handwerker eilen zurück, reißen die Dielen auf, verlöten die angeschlagene Leitung und nageln die Dielen wieder fest. Kaum haben sie das Haus verlassen, tropft es durch die Decke des zweiten, dann eines dritten und vierten Zimmers. Als endlich alle Lecks gefunden und abgedichtet sind, riecht es nach Gas. Der herbeigerufene Notdienst des Gaswerks stellt fest, daß drei der neuen Gasleitungen undicht sind und die Montage des Boilers nicht den Sicherheitsvorschriften entspricht.
Selbst als man bemerkt, daß die Handwerker auch den Gaszähler verbotenerweise abgetrennt und dann wieder so angeschlossen haben, daß sich die Zahlen nun rückwärts bewegen, scheinen die Leute vom Gaswerk daran nur die komische Seite zu sehen. Da habe er, der Hausherr, ja noch einmal Glück gehabt, daß es den Handwerkern nicht gelungen sei, das ganze Gebäude in die Luft zu sprengen.
Im dritten Akt (und ich muß Sie um Nachsicht bitten, wenn ich mit den Details dieser Gruselgeschichten langweilen sollte) – im dritten Akt wird das Haus eingerüstet, die Dachdecker kommen, nehmen die alten Ziegel ab, stapeln sie auf der obersten Plattform des Gerüsts und begeben sich hinunter in den Garten, um dort, im herbstlichen Sonnenschein auf der Mauer sitzend, ihren Tee zu trinken. Kaum haben sie dort Platz genommen, beginnt das drei Stockwerke hohe Gerüst sich über ihnen nach vorn zu neigen, und eine Steinlawine aus alten Ziegeln geht hernieder, die den schöneren Teil des neu angelegten Gartens mit seinen Natursteinmauern, Ziersträuchern und Blumenstauden unter sich begräbt. Von dem Getöse alarmiert, stürzt der Hausherr vor die Tür und steht vor einem Scherbenhaufen, hinter dem die bizarr verbogenen stählernen Rohre des Gerüsts wie die Finger eines vom Blitz getroffenen Riesen in den Himmel ragen. Die von ihm verständigte Bauaufsichtsbehörde will von dem Vorfalll nichts wissen; es habe ja keine Toten oder Verletzten gegeben.
Ein neues Gerüst wird aufgezogen, die Handwerker kehren zurück und nageln die Dachpappe fest. Doch bevor sie die neuen Ziegel legen können, beginnt es zu regnen, regnet Katzen und Hunde (wie die Engländer sagen), tagelang. Und der Regen dringt in die Löcher und Ritze der Dachpappe ein und tropft durch die Decken und Fußböden der dritten, zweiten und ersten Etage bis hinunter ins Erdgeschoß. Als die durch die Wasserfälle entstandenen Schäden wieder behoben sind und man die freudige Nachricht bringt, die Arbeiten am Dach, die drei Monate davor begonnen wurden, seien nun erfolgreich zum Abschluß gekommen, stellt einer der Handwerker fest, daß die neuen Dachrinnen und Regenrohre sich inzwischen mit einer steinharten Masse aus kleinen Ziegelstücken, Sand und Zement aufgefült haben, die einen geregelten Abfluß des Regenwassers vom Dach höchst wirkungsvoll verhindert. – Und es fehlt eigentlich nur noch die Pointe, daß der mit seinem Schicksal hadernde Hausherr vom Schlag getroffen niedersinkt und in einem Sarg davongetragen wird.
Säße man im Kino und sähe diese groteske Folge von Kalamitäten zu den Klängen eines verstimmten Klaviers im Zeitraffer beschleunigt über die Leinwand flimmern, würde man diese Szenen mit ihrem tragikomischen Helden, dem, weil er alles so ernst nimmt, alles zu mißlingen scheint, vermutlich überaus komisch finden. Wer dagegen das ganze wie in der Zeitlupe quälend verlangsamt wirklich am eigenen Leib erfuhr und überlebte, um die Geschichte erzählen zu können, konnte erst lange Zeit danach auch selbst über die Vorgänge lachen, als er verstanden hatte, daß es darauf ankam, mit den Verhältnissen, die ihn umgaben, seinen Frieden zu machen und das unerträglich Erscheinende erträglich zu finden – oder, wenn ihm dies nicht gelingen sollte, die Koffer zu packen und in seine alte Heimat zurückzukehren.
Als ich irgendwann mit einem deutschen Kollegen über die sonderbare Verteilung der nationalen Stärken und Schwächen sprach, fiel mir auf, daß wir zwar von den eigenen Stärken zu wissen glauben und uns viel darauf zugute halten, aber die Stärken der anderen noch weniger kennen als die eigenen Schwächen. Die Deutschen wissen von ihrer Fähigkeit, organisieren zu können, von deutschem Fleiß und deutscher Tüchtigkeit, doch von dem erstaunlichen, bewundernswerten Improvisationstalent der Engländer, ihrer in ungewöhnlichem Maße entwickelten Begabung zur Spontaneität, der Fähigkeit, ganz ungeplant, planlos das Nötige tun zu können, davon wissen sie nichts.
Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich schon erklären mußte, daß die noch immer verbreitete Vorstellung vom ‘steifen Engländer’ ein Mythos ist, der mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. Viel mehr Anspruch auf Wahrheit hätte die These, England sei das Land der Individualisten par excellence, das Land der Käuze und Sonderlinge, in dem man so vielen harmlosen Irren auf der Straße begegnet, daß man glauben könnte, es gäbe überhaupt keinen normalen Menschen, der außerstande wäre, durch irgendeinen originellen Tick die Einzigartigkeit seiner Person unter Beweis zu stellen.
Man muß immer wieder zugeben, daß sich bei solchen Aussagen Verallgemeinerungen schwerlich vermeiden lassen. Dem Deutschen wird nachgesagt, er lebe, um zu arbeiten, und sei so erfolgreich (in guten und bösen Vorhaben), weil er besser und konsequenter als andere zu organisieren verstehe. Der Engländer dagegen arbeitet, um zu leben, und als Pragmatiker mit instinktivem Mißtrauen gegen jede Theorie und alle systematischen Verfahrensweisen ist er angewiesen auf Improvisation. Wer keinen Sinn hat für Planung und Organisation, muß andere Begabungen entwickeln, die ihm helfen, das Manko auszugleichen. Der Engländer verläßt sich auf sein Ingenium, mit verblüffenden Resultaten, vor allem in Bereichen, in denen Intuition, Flexibilität und Spontaneität, also die Fähigkeit, aus dem Augenblick heraus handeln zu können, eine entscheidende Rolle spielen; wie in den öffentlichen Medien, in den vielen Life-Sendungen des Hörfunks oder Fernsehens, oder in Kunstgattungen, in denen es auf das nicht immer im voraus kalkulierbare Zusammenspiel vieler Personen ankommt, wie im Theater.
In englischen Film-, Fernseh- und Hörfunkstudios läßt sich beobachten, wie Produzenten, Regisseure und Schauspieler, Kameraleute und Techniker mit einem absoluten Minimum an Planung und Organisation zu zaubern verstehen. Und was dabei herauskommt, wirkt oft lebendiger und glaubhafter als die künstlerischen Resultate der bis ins letzte durchdachten, scheinbar perfekt funktionierenden Produktionsverfahren.
In England wurde uns vorgeführt, daß es zwei grundsätzlich verschiedene Wege gab zum selben Ziel: Die Möglichkeit, durch ein Maximum an Planung und Organisation optimale Ergebnisse zu suchen – oder im Vertrauen auf die eigene Geistesgegenwart sich vor allem der momentanen Eingebung zu überlassen. Das eine Verfahren konnte dazu führen, daß kreative Impulse im Keim erstickt wurden und die Resultate kalt und im schlechten Sinne konstruiert erschienen. Im anderen Fall aber wuchs die Gefahr, daß unkontrollierbare Zufälle über Erfolg und Mißerfolg entschieden.
Wie schwer es uns Deutschen fällt sich vorzustellen, daß auch ohne umfangreiche Vorbereitungen, sorgfältige Planung und Koordination beachtliche Ergebnisse zustandekommen können, wurde mir bewußt, als man mich bat, in London beim Aufbau einer Ausstellung zu helfen, die von den Ausstellenden selbst eingerichtet werden mußte, in einem Raum, der für solche Zwecke kaum geeignet war und erst anderhalb Tage vor dem Eröffnungstermin zur Verfügung stand. In nicht mehr als sechsunddreißig Stunden sollte die Bestuhlung des Saales entfernt, der Saal gereinigt, die Stellwände aufgebaut, die Beleuchtung installiert und über zweihundert sehr verschiedene Exponate nach bestimmten Kriterien geordnet und auf möglichst ansprechende Weise präsentiert werden. Weil es keinen Koordinator gab und offenbar keinerlei Absprachen über die sinnvollste Verteilung der Arbeiten, und es nicht einmal feststand, wer sich zum Aufbau der Ausstellung einfinden werde, hielt ich das ganze für ein unmögliches Unterfangen.
Was dann geschah, erinnerte an die Geschichte der Heinzelmännchen von Köln. Ohne sich darauf verabredet zu haben, erschien ein Dutzend eifriger Helfer, mit allem nötigen Werkzeug ausgerüstet. Fast wortlos übernahm jeder von ihnen die Aufgabe, für die er am besten geeignet schien – und am Abend des folgenden Tages war eine Ausstellung zustandegekommen, die so geschlossen und harmonisch wirkte, als habe man fast nichts dem Zufall überlassen und sich jede Einzelheit schon lange davor ausgedacht.
Obwohl es keinen verantwortlichen Koordinator gegeben hatte, war Koordination geglückt. Durch Teamwork, die Bereitschaft zur selbstlosen Zusammenarbeit im Sinne einer gemeisamen Sache, hatte sich ein Modell der herrschaftslosen Gesellschaft bewährt, die für die meisten von uns, wenn nicht undenkbar, so doch in der Realität nicht machbar erscheint.
Ich hatte schon fünfzehn Jahre in London gelebt und dort als Kuturkorrespondent der deutschsprachigen Rundfunkanstalten meinen Unterhalt verdient, als ich zum ersten und gottlob einzigen Mal Bekanntschaft mit der deutschen Steuerfahndung machte. Mehr aus sentimentalen als praktischen Gründen hatte ich meinen alten deutschen Wohnsitz aufrechterhalten. Es war so etwas wie eine Rückversicherung gewesen, die mir das Gefühl gab wenn ich mich in England nicht halten konnte, würde mir noch immer die Möglichkeit bleiben, in das Land meiner Herkunft zurückzukehren. Doch als nach dem Tod meines Vaters das elterliche Haus verkauft wurde, weil meine Mutter sich in ein Seniorenheim zurückziehen wollte, mußte auch ich die alte Adresse aufgeben.
Einen Tag nach meiner polizeilichen Abmeldung klingelte es Sturm bei meiner Mutter. Sie war damals gerade achtzig Jahre alt und wollte ihr Haus einige Wochen später für immer verlassen. Als sie die Tür öffnete, standen drei stämmige Männer davor, die ihren Sohn zu sprechen wünschten. Der sei bei seinen Schwiegereltern in der Eifel, gab meine Mutter zur Antwort, worum geht es denn? Wir sind von der Frankfurter Steuerfahndung, erklärte der Anführer der Gruppe, und wollen das Zimmer Ihres Sohnes untersuchen. Mein Sohn hat hier kein Zimmer mehr und keinen persönlichen Besitz, den Sie durchsuchen könnten, erwiderte meine Mutter wahrheitsgemäß. Dann bäten sie darum, ihr Telefon benutzen zu dürfen, um ein Ferngespräch mit mir zu führen: sie kenne ja wohl die Nummer in der Eifel, bei der ich zu erreichen sei. Von dem rabiaten Auftreten der Männer eingeschüchtert, gab meine Mutter nach.
Der Anführer ergriff den Hörer, wählte, aber ich war außer Haus. So hinterließ er die Nachricht, ich solle mich umgehend bei der Frankfurter Steuerfahndungsbehörde melden. Bevor ich dies tat, hatte ich mich bei meiner Mutter über die näheren Umstände des Überfalls informiert und erfahren, daß keiner der Männer sich ausgewiesen, geschweige denn sich für das fast gewaltsame Eindringen entschuldigt hatte. Die alte Frau, die nach drei Herzinfarkten etwas fragil geworden war, hatte, weil sich die Männer wie Gangster benahmen, einen gehörigen Schrecken davongetragen. Statt sich für die Benutzung ihres Telefons zu bedanken, waren sie ebenso abrupt, wie sie erschienen, wieder nach draußen gestürmt und, bevor meine Mutter den Knopf zum Öffnen der Gartentür erreichen konnte, über den Metallzaun gestiegen, wobei eine der starken oberen Verstrebungen abbrach.
Erst nach einem geharnischten Beschwerdebrief, den ich auch an den Vorgesetzten der beteiligten Beamten sandte, und Monate nach Einsendung der Rechnung für den angerichteten Schaden, als ich längst mit Vorlage sämtlicher Einkommensbelege aus den vergangenen Jahren nachgewiesen hatte, daß meine Einkünfte in London ordentlich versteuert worden waren, wurde der für die Reparatur des Gartentors von meiner Mutter ausgelegte Betrag ihr rückerstattet.
Weil die lokalen Behörden keinen Nachweis darüber hatten, daß ich meine Steuern andernorts entrichtete, waren sie davon überzeugt, sie seien einem Straftäter auf die Schliche gekommen. Ohne weitere Rückfragen hatte das Einwohnermeldamt einen ehemaligen Einwohner bei der Steuerbehörde angezeigt und die war ohne einen Moment zu zögern davongaloppiert, den Übeltäter zu verhaften.
Wie anders war ich dagegen in all den Jahren von den Steuerbehörden in England behandelt worden! Als ich meine freiberufliche Tätigkeit in London begann, hatte man mich höflich eingeladen und mir erklärt, daß es mir freistehe, meine Steuern in Deutschland oder in England zu entrichten, man jedoch in der Regel danach gehe, wo der Betroffene sich überwiegend aufhalte. Als ich mich für England entschied, konnte ich nicht ahnen, wie weise dieser Entschluß war. In den ersten Jahren genügte die schlichte Erklärung, daß meine Einkünfte in der Anfangsphase der Umstellung auf einen neuen Beruf trotz redlichen Bemühens über die Schwelle des zugestandenen Steuerfreibetrages nicht hinausgekommen seien. Man glaubte mir einfach, weil das, was ich sagte, plausibel erschien.
Mein Finanzamt war im vierten Stock eines schäbigen Hinterhauses der Firma Woolworth untergebracht. Wer zum ersten Mal vor der verschmutzten, halb verglasten Lagerhaustür stand, mit dem unauffälligen Schild ‘Inland Revenue’ auf der einen Seite, dem mit eiliger Hand gekritzelten Graffito ‘Merry Christmas!’ auf der anderen, mußte glauben, sich in der Adresse geirrt zu haben. War man durch das staubige Treppenhaus, die Mappe mit der Steuererklärung unterm Arm, bis in die vierte Etage hinaufgelangt – einen Lift gab es nicht – und hatte eine weitere Tür mit der Aufschrift ‘Bitte eintreten ohne anzuklopfen!’ aufgestoßen, rang man nach Atem, selbst wenn man mit halbwegs gutem Gewissen erschienen war.
Man befand sich in einem kahlen, hallenartigen Raum vor einer etwa fünf Meter langen Holztheke, auf der eine Klingel montiert war, mit deren Hilfe man die hinter der Barriere Beschäftigten auf seine Ankunft aufmerksam machen sollte. In einiger Entfernung sorgte eine aus rohem Sperrholz gefertigte Trennwand für eine weitere Unterteilung des Saales. Man durfte vermuten, daß in dem nicht einsehbaren Teil des kärglichen Großraumbüros die etwas höher gestellten Beamten der örtlichen Finanzbehörde ihre Plätze hatten. Im Hintergrund rechts diente ein Konfektionsständer, der aus dem Lagerraum eines Kaufhauses stammen konnte, als Garderobe der Bediensteten, die an schmalen Schreibtischen saßen und mit Papieren beschäftigt waren.
Man drückte den Klingelknopf und wartete, bis ein junges Mädchen erschien, das grußlos nach der persönlichen Steuernummer fragte und dann wieder verschwand. Zwei Minuten später saß man auf einem der drei Stühle, die vor der hölzernen Theke aufgestellt waren, einer freundlichen Dame gegenüber, die als zuständige Sachbearbeiterin die genannte Steuernummer betreute. Sie hatte ein kleines Bündel mit Papieren mitgebracht, das wie ein Päckchen mit einem roten Wollfaden verschnürt war – die gesammelten Steuerakten mit allen Einkommenssteuererklärungen, Korrespondenzen und Belegen aus den letzten Jahren.
War man beim Ausfüllen des sechsseitigen Fragebogens zur jährlichen Steuererklärung nicht zurechtgekommen, wurde man freundlich über seine Pflichten und Rechte beraten. Und bei Unsicherheiten, ob man vielleicht einen Fehler gemacht und irgendwo eine falsche Erklärung abgegeben habe, durfte man mit dem beruhigenden Zuspruch rechnen, man solle sich keine Sorgen machen, da gewiß alles in Ordnung sei.
Im übrigen genügte es, nur die Gesamtsumme aller Einkünfte des betreffenden Steuerjahres, umgerechnet in Pfund Sterling, anzugeben und dagegen eine grob spezifizierende Liste der Kosten und Ausgaben zu stellen; wobei man sich darauf verlassen konnte, daß die genannten Kosten ungeprüft anerkannt wurden, solange die Beträge einigermaßen angemessen erschienen. Hatte man sich aber die Mühe gemacht, alle Originalbelege zu sammeln, durchzunummerieren und aufzulisten, wurde man freundlich gebeten, sie doch bitte wieder mitzunehmen, weil der Platz fehle, die vielen Papiere aufzubewahren.
Was wir unter Fortschritt verstehen, ist nicht aufzuhalten. Sich dagegen zu stemmen wäre absurd und überdies gefährlich. Das hat sich inzwischen auch in Großbritannien herumgesprochen. Man hat begonnen sich umzustellen, sich anzupassen, gleicht aus. Die Differenzen werden schwinden.
CODA
Als ich diesen letzten Text niederschrieb, wußte ich noch nicht, ob die zu erwartende Umstellung auf Computer auch bei meinem englischen Finanzamt bereits zum Abschluß gekommen war, die Gepflogenheiten sich dadurch ändern und den Verhältnissen in anderen westlichen Ländern angleichen würden, wo die Bürokratie längst vergessen zu haben schien, daß der Einzelne irgendwann einmal mehr war als eine Aktennummer. Es war zu befürchten.
Ich war davon überzeugt, daß die Unterschiede, die das Thema meiner gedanklichen Reisen waren, sich mit der Zeit verspielen würden und eine Art Ausgleich stattfände, den man inzwischen vielleicht sogar mit einer gewissen Wehmut zur Kenntnis nehmen werde. Daß es etwas anders kam, verdirbt mir nachgerade die Schlußpointe – was mich, um ehrlich zu sein, aber eigentlich freut. So hat sich zum Beispiel an den Gepflogenheiten meiner Steuerbehörde trotz längst vollzogener 'Computerisierung’, soweit ich feststellen konnte, sehr wenig geändert. Wenn das Finanzamt auch nicht mehr die Steuerakten in kleinen, mit roten Wollfäden verschnürten Bündeln aufbewahrt, haben die damals gewagten Aussagen über bestimmte Tendenzen des Verhaltens der Briten cum grano salis noch immer ihre Berechtigung.
Dies gilt, wie ich glaube, für viele Bereiche des modernen Lebens in Großbritannien, wo trotz der Folgen der technologischen Revolution, die in der jüngsten Vergangenheit die Welt erschüttert und vieles radikal verändert hat, die Menschen selbst in ihrem Verhalten sich auf erstaunliche Weise ähnlich geblieben sind. Das heißt, die über Jahrhunderte und Jahrtausende gewachsenen Eigenarten, durch welche die Völker sich voneinander unterscheiden, sind viel zu tief eingeprägt, als daß sie in wenigen Jahrzehnten verlorengehen könnten.
Diese Unterschiede gilt es ernst zu nehmen: wir müssen sie kennen, wenn wir die Menschen einer anderen Kultur verstehen wollen – und damit auch uns selbst.