die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1987
Text # 306
Autor William Shakespeare
Theater
Titel Macbeth
Ensemble/Spielort Ninagawa Theatre Tokio/Lyttelton Theatre/National Theatre/London
Inszenierung/Regie Yukio Ninagawa
Sendeinfo 1987.09.19/SWF Kultur aktuell/BR 1987.09.26/WDR/DLF/RIAS

“What are your objections to Shakespeare in Japanese? – Was haben Sie gegen diesen japanischen Shakespeare einzuwenden?”, fragte die Reporterin des japanischen Fernsehens im Foyer des Londoner Nationaltheaters einige Zuschauer nach der Premiere von Yukio Ninagawas ‘Macbeth’-Inszenierung, als verstehe sich fast von selbst, daß ein englisches Publikum der Aufführung eines der großen Werke des größten Dichters der englischen Sprache skeptisch und ablehnend begegne. Und dies umso mehr, als die für ihre nachgestalterischen Talente berühmten Asiaten sich nicht gescheut hatten, den Schauplatz der Handlung ins eigene Land zu verlegen, in die Zeit der blutigen Samurai-Kämpfe des 16. Jahrhunderts.

Die Art der Befragung ließ darauf schließen, daß das erste Londoner Gastspiel des Nanagawa-Theaters den Japanern selbst kaum weniger wichtig war als ihren Londoner Gastgebern, die dem Auftritt des Ensembles nach seinen spektakulären Erfolgen bei den Edinburg-Festspielen 1985 und 1986 als einem der großen Theaterereignisse des Jahres entgehensahen.

Die Japaner haben Shakespeare sehr spät entdeckt, und es ist interessant zu erfahren, daß das erste Shakespeare-Stück in japanischer Sprache 1885 als Bearbeitung eines Kabuki-Theaters auf die Bühne kam und bei der Erstaufführung des ‘Macbeth’ zwanzig Jahre später die Rolle der Lady Macbeth noch von einem Oyama, einem männlichen Frauendarsteller, gespielt wurde.

Wie in Kurosawas Film ‘Rashomon’ wird in der Inszenierung des ‘Macbeth’ von Yukio Ninagawa, der heute als der bedeutendste Schauspielregisseur des Landes gilt, das riesige Tor eines Shinto-Schreins zum dominierenden Rahmen der Geschehnisse. Zwei alte Frauen mit einem Bündel auf dem Rücken gehen gebeugten Ganges durch den Zuschauerraum nach vorn, besteigen die Bühne, knien nieder, schieben nach einem kurzen Gebet die hohen Türen zur Seite und lassen sich rechts und links vor dem Eingang nieder. Was im Inneren des Gebäudes geschieht – hinter einer paneelierten, durchscheinenden Wand zunächst nur schemenhaft erkennbar – wirkt wie die Wiederkehr von Geistern der fernen Vergangenheit, die, von der Gegenwart der beiden Alten beschworen, erscheinen, sie durch ihr archaisches, grausames Treiben erschrecken und immer wieder zu Tränen rühren und nach dem großen Kampf, wenn Macbeth vernichtet und seine Verbrechen gesühnt worden sind, wie ein Spuk im Inneren des Schreins wieder verschwinden. Die Alten schieben die hohen Türen zu, packen ihr Bündel und gehen davon

Die transparente papierene Wand läßt die Vorgänge zweidimensional und diffus erscheinen. Wenn sie sich ganz oder teilweise öffnet, gewinnen die Figuren plötzlich eine Schärfe, als sähe man durch ein Vergrößerungsglas. Durch Öffnen und Schließen der Wand entsteht eine Art Zoom-Effekt, den Ninagawa kunstvoll zu nutzen weiß. Wird der Blick in die Tiefe freigegeben, hat man einen großen, symmetrisch gestuften Innenraum vor sich, der mit einer hohen Palisadenwand endet, durch deren Schlitze der Schein der Kerze fällt, wenn Lady Macbeth durch den dunklen Palast geistert, oder in dem Gemetzel am Schluß blutrotes Licht von außen eindringt und das grausige Ende Macbeths ankündigt.

Der dynamische Darstellungsstil mit seiner Vielfalt des mimischen Ausdrucks und den phantastischen Kostümen erinnert an die ritualisierten Schauspiele des Kabuki-Theaters, das etwa zur selben Zeit entstand. Durch sorgfältige Choreographie der szenischen Bewegungen, Grazie und Präzision ihrer Ausführung und raffinierte Beleuchtung wird die Aufführung vor allem zu einem visuellen Vergnügen.

Daß Ninagawa die entscheidenden Szenen des Stückes zur Zeit der vollen Kirschblüte spielen läßt, von der es heißt, daß sie die Menschen berauscht und zu Raserei und Wahnsinn treiben kann, gibt den wahnsinnigen Vorgängen eine neue tragische Dimension. Die Kirschblüte, deren Blätter wie Schnee lautlos zur Erde fallen, Sinnbild der Schönheit und Vergänglichkeit und eines der klassischen Motive der japanischen Kunst und Poesie, wird zur ergreifenden theatralischen Metapher.

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