die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1972
Text # 32
Autor Phil Woods
Theater
Titel Show Me the Way to Go Home
Ensemble/Spielort Theatre Upstairs/London
Inszenierung/Regie Pam Brighton
Uraufführung
Sendeinfo 1972.05.25/BBC German Service

‘Show Me The Way To Go Home’ (Zeig mir den Weg nach Hause) ist eine kabarettistisch-szenische Paraphrase zum Thema der Wohnungsnot in England. Aus der Umschreibung des traurigen Gegenstandes ist – nach den Texten von Phil Woods und unter der Regie von Pam Brighton – ein sehr unterhaltsamer Theaterabend geworden, der freilich alles andere als erheiternd wirkt. In lose aneinander gereihten Szenen, Mono- und Dialogen, Liedern und Sketches wird die Not der Besitz- und Obdachlosen bezeichnet und mit dem immer schneller wachsenden Kapitalgewinn der Haus- und Grundstücksspekulanten konfrontiert.

Wenn schon aus offiziellen Regierungsverlautbarungen hervorgeht, daß ein Viertel der Bevölkerung in Wohnverhältnissen lebt, die den bescheidenen Normen nicht genügen, dann muß etwas geschehen. Im Theatre Upstairs hat eine Gruppe von jungen Leuten den Zusammenhang zwischen wachsendem Reichtum der einen und wachsender Not der anderen nachzugehen versucht.

Da gibt es zum Beispiel das imposante Center Point-Hochhaus, das höchste Gebäude Londons, im innersten Zentrum der Stadt gelegen; ein weißer Riese moderner Baukunst. Das berühmte Bürohaus wurde vor fünf Jahren fertiggestellt – und steht seitdem leer. Warum? Weil es so profitabler ist. Wie das? Ein einfaches Rechenexempel: Durch den steigenden Bedarf an Wohn- und Büroräumen klettern die Preise für Häuser um jährlich mindestens 12 %; das bedeutet, der Wert eines Durchschnittshauses irgendwo in London erhöht sich jeden Monat um circa £100 , also etwa 850 DM. Das Centre Point Building kostete seinen Besitzer rund £5 Millionen; innerhalb von fünf Jahren hat sich der Wert des Gebäudes auf £40 Millionen, also das achtfache erhöht. Und die Entwicklung geht weiter. Da sich die örtlichen Haus- und Grundstückssteuern bei leerstehenden Gebäuden um 50% reduzieren, werden Spekulationen solcher Art ermutigt. Die Hauseigentümer versuchen, den Boom zu nutzen. Leere Wohnblocks lassen sich viermal so teuer verkaufen wie solche, die mit Mietern besetzt sind. Also läßt man die Mietverträge auslaufen und treibt die Bewohner aus den Häusern. Durch berüchtigten Slum-Clearing-Aktionen, denen ganze Straßenzüge und Wohnviertel zum Opfer fallen, sorgen die Behörden selbst dafür, daß die Zahl der Obdachlosen sich weiter vermehrt. Dafür erhalten sie einen Platz auf einer der hoffnungslos langen Wartelisten für neu geplante Gemeindewohnungen.

Das Geschäft der Spekulanten aber blüht. Wer Geld hat, so heißt es im Stück, kann sich ‘Beziehungen’ schaffen und durch Kompensation, Schiebung und Bestechung fast jedes Recht erkaufen. Wer kein Geld hat, hat keine Chance. Das neue Mietengesetz der konservativen Regierung bietet neue Möglichkeiten für Mieterhöhungen. Nach den Angaben des Ministeriums für Umwelt wird sich der heute gültige durchschnittliche Mietsatz schon in vier Jahren mehr als verdoppelt haben.

Wer solche alarmierenden Fakten sammelt und in szenischer Form dem Publikum vorstellt, will aufklären. Wenn es die vornehmste Aufgabe des Theater ist, den Leuten zu sagen (und zwar auf vergnüglichste Weise), wie und warum ihre Welt im Argen liegt, dann kann die satirische Show ‘Zeig mir den Weg nach Hause’ im Theatre Upstairs nicht laut genug gepriesen werden. Dem Ensemble gelingt es, das Problem der akuten Wohnungsnot so zu beleuchten, daß die Situation, unter der so viele Menschen leiden, nicht mehr als unvermeidbares Schicksal verstanden wird, sondern als Resultat einer Politik, die die Reichen begünstigt und den armen Mann zu kurz kommen läßt.

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