die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1978
Text # 132
Autor Peter Flannery
Theater
Titel Savage Amusement
Ensemble/Spielort Warehouse Theatre/Royal Shakespeare Company/London
Inszenierung/Regie John Caird
Hauptdarsteller David Threlfall
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1978.07.06/DLF 1978.07.07/SWF Kultur heute/RB/ORF Wien/Nachdruck: Darmstädter Echo

Ein neuer britischer Autor, ein neues Stück. ‘Savage Amusement’ (Wilder Spaß) von Peter Flannery gewann beim diesjährigen Studententheaterfestival in Durham den von der ‘Sunday Times’ gestifteten Preis ‘Bestes neues Schauspiel’. Ort der Handlung ist Hulme, einer der Vorstadtslums von Manchester, der Heimat des Autors. Die Londoner Erstaufführung durch die Royal Shakespeare Company unter der Regie von John Caird brachte dem Stück den verdienten großen Erfolg.

‘Savage Amusement’ spielt in der nahen Zukunft des Jahres 1982. Es handelt von einer Gruppe junger Leute, die als Squatters in einem verfallenen Gebäude hausen, das in Kürze abgerissen werden soll. Die meisten Bewohner der Gegend haben ihre Häuser bereits verlassen oder sind gewaltsam vertrieben worden. Gruppen zerstörungswütiger Jugendlicher ziehen brandschatzend durch die Ruinenlandschaft. Es ist die apokalyptische Szene des totalen Verfalls sozialer Ordnung, städtischer Organisation und staatlicher Verwaltung, das grauenhafte Bild vom Untergang einer Zivilisation, die uns in Tony Bicats Schauspiel ‘Teufelsinsel’ als Vision vom nahe bevorstehenden Ende vorgestellt wurde, einem Ende, welches in ‘Savage Amusement’ schon vier Jahre vor der Zeit, in der das Stück spielt, als Realität erscheint.

“Hulme ist ein Ort, der keinem anderen gleicht“, heißt es am Anfang Stückes. Gemeint ist das Gegenteil: daß es schon viele Orte gibt, die den Vorstadtslums von Manchester gleichen.

Die Gruppe der Squatters besteht aus vier jungen Leuten – einem verheirateten Paar, das vergeblich auf ein Stipendium für ein Forschungsprojekt an der Universität wartet, einer jungen Sozialarbeiterin und einem 18-jährigen Analphabeten, der als Überbleibsel einer zerstörten Familie mit dem tierhaften Willen zum Überleben zum natürlichen Führer der Gruppe wird. Fitz (der seinen Namen Fitzgerald Kennedy einem amerikanischen Präsidenten verdankt, der gerade ermordet wurde, als Fitz das Licht der Welt erblickte) versorgt sich und die anderen mit Lebensmittelkonserven, die er aus einem der Supermärkte stiehlt. Olly, ein Möchte-gern-Student der Anthropologie, der bei einer Reise in den brasilianischen Dschungel die Ausrottung der eingeborenen Indianer miterlebte, ist angewidert von der Heuchelei der braven Bürger, die sich inmitten des großen Weltuntergangs ein gutes Gewissen erhalten haben. Hazel, seine Frau, sehnt sich nach dem etwas altmodischen häuslichen Glück und kehrt in den Schoß ihrer Familie zurück. Auch Ali, die Sozialhelferin, gibt schließlich dem Drängen ihres Bruders nach, der aus London gekommen ist, um sie herauszuholen aus dieser grausigen Stadt, der sie sich, wie Olly und Fitz, auf eigenartige Weise verbunden fühlt. Am Ende müssen auch Fitz und Olly vor dem Anmarsch der marodierenden Horden die Flucht ergreifen.

‘Savage Amusement’ beschreibt eine Zukunft, die für einige von uns schon begonnen hat. Es zeigt die Resultate einer barbarischen Entwicklung, eine Rückkehr zu vorzivilisatorischen Verhaltensmustern und Zuständen, in denen nur überleben wird, wer sich wie Fitz etwas vom ‘unausdrücklichen Optimismus’ des wilden Tieres erhalten hat.

David Threlfall spielt die Rolle des illiteraten Jungen mit erschütternder Intensität – eine darstellerische Leistung, die unvergeßlich bleiben wird.

‘Savage Amusement’ ist ein Stück, das uns keine Hilfen anbietet bei der Suche nach einer Lösung der Probleme, von denen es handelt. Es stellt Fragen, auf die eine Antwort gefunden werden muß, wenn wir dem Verhängnis, das es beschreibt, entgehen wollen.

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