Seit das Londoner Nationaltheater unter der Leitung von Laurence Olivier und Kenneth Tynan vor nunmehr zwanzig Jahren dem so gut wie unbekannten Charles Wood als einzigem lebenden Autor die Ehre gab, eines seiner Stücke ins Programm der folgenden Spielzeit aufzunehmen, neben den Werken der alten und neuen Klassikern Shakespeare, Tschechow, Ibsen und Brecht, galt der damals 32-jährige als “das frischeste, klarste Talent im britischen Theater“ (Tynan). ‘Dingo’, ein Stück über den Wahnsinn des Krieges, in welchem der einfache Soldat immer wieder als Kanonenfutter verheizt wird, wurde zwar nicht der gewaltige Erfolg, der Tynans Begeisterung über die Entdeckung eines neuen britischen Bühnendichters zu rechtfertigen schien, doch Charles Wood war seither ein gefragter Mann, um den sich vor allem die Film- und Fernsehproduzenten drängten, für die er im Laufe der Jahre zahlreiche Texte schrieb, die seine Faszination für das Militär bezeugten, dem er sich selbst fünf Jahre freiwillig verschrieben hatte, ohne Offiziersrang zu erreichen; was ihn zum Pazifisten gemacht und dazu beigetragen zu haben schien, daß seine Haß-Liebe zu allem Soldatischen zur Obsession wurde, von der er sich nicht mehr befreien konnte, eine Obsession, der wir in einigen Fällen, wie in dem Film ‘The Charge of the Light Parade’, dessen Drehbuch er schrieb, erschütternd eindrucksvolle Bilder vom schauderhaften Gemetzel des Krieges verdanken, doch auch gelegentlich, wie in ‘Jingo’ und anderen Bühnenstücken, albern überzogene Soldatenschwänke, die den Eindruck geben, daß das Leben der Uniformierten mitsamt seinen allzu oft tragischen Unfällen wie ein verrücktes Kostümfest in ausgelassener Stimmung genossen werden kann.
“Über Greuel kann man auf zweierlei Weise schreiben“, meinte Charles Wood unlängst in einem Gespräch über seinen Fernsehfilm ‘Roter Monarch’, “entweder durch direkte Wiedergabe des Schrecklichen, wie es wirklich war, oder als Farce”. In ‘Red Monarch’ ließ er Stalin und seinen Henker Beria als Slap-Stick-Komiker auftreten, die mit den Säuberungen ihre große Erfolgsnummer auflegen, wobei er die Beiden mit breitem irischen Akzent sprechen ließ, was das Ärgernis für manchen Kritiker unerträglich machte. Das von der Royal Shakespeare Company im Studiotheater des Barbican Centre uraufgeführte neue Stück mit dem sehr ähnlichen Titel ‘Red Star’ (Roter Star) liefert Wood eine neue Variante zum gleichen Thema.
‘Red Star’ ist der Versuch einer Satire, die zur Posse gerät und – im Unterschied zu der Burleske über den schmählichen Niedergang der englischen Herrennation, wo Kritik sich gegen den eigenen Größenwahn und eigenes Versagen zu richten schien – hier wirkt wie ein mißratener Witz, der wie ein Rohrkrepierer zündet.
Nikolai Mikhailowitsch Lulja, Infanterist der Roten Armee, ist nach dem Ende des Krieges, der ihn die Eroberung der Städte Königsberg, Berlin und Budapest erleben ließ, Schauspieler des ‘Theaters der glorreichen sowjetischen Landarbeiter’ geworden. Nach zahlreichen kleinen Rollen darf er in Shakespeares ‘Julius Cäsar’ erstmals eine Titelfigur übernehmen. Er hat Schwierigkeiten mit dem Erlernen des Textes, mehr noch mit seinem Talent, den großen Genossen Stalin täuschend echt nachahmen zu können. Letzteres bringt ihm eine Verhaftung des KGB und deißig Jahre Arbeitslager ein, aus dem er, kaum angekommen, schon wieder entlassen wird, weil man ihn als Hauptdarsteller in der Verfilmung von Stalins Heldenleben braucht.
Während der Dreharbeiten wächst Nikolai mehr und mehr in die Figur seiner Rolle und genießt als gefeierter Star wie alle hohen Funktionäre des Staates mit Datscha, großem Wagen, hohem Einkommen, Kühlschrank, Piano und American Jazz alle Herrlichkeiten der Welt, von denen der normale Sowjetmensch nur träumen kann. Fehlt ihm nur das Glück der Liebe, das er auf der Höhe seines Erfolgs bei derselben Frau zu finden hofft, die sich von ihm losgesagt hatte, als er verhaftet wurde, und die ihr Brot inzwischen als Prostituierte in staatlichem Auftrag verdient, zur Korruption von Personen abgerichtet, die Stalin liquidieren lassen will. Nicolai, unser roter Star, ersticht die Geliebte und macht sich mit einem alten Genossen aus dem Arbeitslager auf den langen Weg nach Berlin, wo er als Stalin nach dem Besuch des sowjetischen Ehrenmals mit kühnem Sprung auf die nächste Trambahn in den goldenen Westen entschwinden möchte.
Was sich wie spaßige Satire anhört, über die sich herzlich lachen ließe, ist leider nur eine an Geschmacklosigkeiten nicht zu überbietende Folge hämischer Witzeleien nicht nur über die Fehler und Schwächen des Sowjetstaates als Perversion der Idee von Sozialismus – was sich sehr wohl ertragen und rechtfertigen ließe – sondern der durch die diffamierende Wirkung sich selbst richtende Versuch einer grausamen Karikatur des Russen, der selbst in der Rolle eines Opfers stalinistischen Terrors nur als Untermensch mit bestialischen Zügen gezeigt wird, bösartig und korrupt, geil und gewalttätig, erpreßbar, treulos und ohne Gewissen; die Führer blutrünstige Monster, die übrigen unterwürfige Kulaken.
‘Red Star’ will als Laurel-und-Hardy-Posse belacht und als Travestie des uns allen Verächtlichen ernst genommen werden. Es ist ein Versuch, der schrecklich daneben geht, eine Aufführung, für die man sich eigentlich nur schämen kann, weil es sich hier nicht um die Arbeit eines belanglosen Fringe-Theaters handelt, die man ignorieren könnte, sondern um eine Inszenierung des bedeutendsten Schauspielensembles der westlichen Welt, der Royal Shakepeare Company.
Selbst wenn wir unterstellen, daß Charles Wood und sein Regisseur John Caird wohl eher aus Naivität als in böser Absicht handeln, bleibt die Tatsache, daß dieses Stück nur dazu angetan ist, anti-russische Ressentiments zu bestätigen, deren Gefährlichkeit uns seit Adolf Hitlers Zeiten vertraut ist und die durch Reagan, Thatcher, Kohl & Co. heute wieder salonfähig geworden sind.