Die Royal Shakespeare Company, die sonst auf den großen Bühnen des Shakespeare Memorial Theatre in Stratford und des Londoner Aldwych Theatre spielt, hat wie in den vergangenen Jahren für wenige Wochen ein drittes Quartier bezogen, in diesem Herbst den Theatersaal des Londoner Clubhauses ‘The Place’. Man hat eine Arenabühne darin einrichten lassen mit steilen Sitzreihen, die bis zu 330 Zuschauern Platz bieten. Dort präsentiert ein Teil des experimentierfreudigen Ensembles in diesen Tagen drei neue Inszenierungen, die speziell auf die Besonderheiten des Raumes eingerichtet sind, den für die Akteure der RSC ungewöhnlichen sehr engen Kontakt zwischen Darstellern und Publikum.
Nach der Londoner Premiere des Revolutionsstückes ‘Occupations’ von Trevor Griffith, das, nach den Worten seines Autors, die Diskrepanz zwischen dem Willen, eine Revolution zu machen, und deren praktischer Durchführbarkeit zum Thema hat, dargestellt an der Besetzung der norditalienischen Fabriken durch die Arbeiter im Jahre 1920 – nach diesem furiosen Auftakt also, einer überaus präzisen Inszenierung, die nachhaltige Wirkung im Publikum hinterließ, fand hier die britische Erstaufführung von ‘Subject to Fits’ von dem erst 25-jährigen amerikanischen Autor Robert Montgomery statt.
‘Subject to Fits’ (Opfer von Anfällen) ist, wie es heißt, “eine Antwort auf Dostojewskis Roman ‘Der Idiot’”, eine eigenständige dramatische Dichtung im Geiste des dostojewskischen Werkes. Das Stück, das nach seiner Uraufführung in New York als bedeutsame Neuentdeckung gepriesen wurde, geht der Gefahr der meisten Dramatisierungen epischer Werke, nämlich am Original gemessen zu werden und dabei den Kürzeren zu ziehen, geschickt aus dem Wege. Der Autor läßt nachdrücklich wissen, daß er keine Bühnenadaptation des Romans versucht, das Original vielmehr ziemlich respektlos nach eigenem Gutdünken ausgebeutet, ja entstellt habe.
Die Arbeit des Autors besteht vor allem in der Reduktion des umfangreichen Stoffes, Reduktion auch der Situationen und Charaktere auf das Typische, Eigentümliche und in solchem Sinne Merkwürdige. Das im Roman einigermaßen komplizierte, durch gesellschaftliche Konventionen geprägte Verhältnis der Personen zueinander wird im Stück auf den jeweils bezeichnenden Gestus reduziert. Man spricht unverblümt rücksichtslos aus, was man im Innersten fühlt oder denkt, nennt die Wahrheit beim Namen, zeigt sich selbst mit seinem wahren Gesicht, dem der Eitelkeit, des Ehrgeizes, der Berechnung, der Besitzgier, der Grausamkeit, der Verständnis- und Mitleidlosigkeit.
Der zu epileptischen Anfällen neigende Prinz Myshkin verliebt sich in die ebenso schöne wie ehrgeizige Natascha Fillipowna und verliert an der Hoffnungslosigkeit seiner Suche nach Liebe und an der Sinnlosigkeit einer von allen guten Geistern verlassenen Welt vollends den Verstand. Robert Montgomery beschreibt eine Welt des Wahns, eine absurde Welt. Die in rasendem Tempo vorbeiziehenden knappen Szenen werden ohne Umschweife, auch ohne interpretierende und vermittelnde Kommentare mit expressiver Gewalt dem Publikum dargeboten.
Die Verkürzung wirkt parodistisch, die Personen komisch-grotesk, unwirklich, wahnwitzig. Diese Irrealität wird schließlich noch musikalisch erhöht durch Verzauberung der Sprache: aus Monologen werden Arien, aus Dialogen Duette und Chöre, schaurig melodiös, makaber. Myshkin, der in der ‘guten’ Gesellschaft anfangs völlig hilflose reine Tor (hier vorgestellt von einem Schauspieler, der gewöhnlich junge, tölpelhafte Naturburschen spielt), wird im Verlauf des Stückes zunehmend zu der dominierenden Figur, an welcher die anderen ihre Minderwertigkeit und moralische Schwäche messen. Der Prinz, der schließlich im gläsernen Käfig eines Irrenhauses seinem armseligen Ende entgegendämmert, hat in den Seelen der zurückgebliebenen Menschen unverkennbar seine Spur hinterlassen. In die scheinbar heillos absurde, mit den Mitteln des absurden Theaters bezeichnete wahnsinnige Welt fällt ein Schimmer von Hoffnung.