Der südafrikanische Bühnendichter Athol Fugard ist nach London zurückgekehrt, in die Stadt, die ihm seit den siebziger Jahren zu einem zweiten zu Hause geworden ist, wo viele seiner Werke ihre europäische Premiere hatten, bevor sie am Broadway oder in anderen Ländern Europas nachgespielt wurden.
‘Valley Song’ ist eine Art szenisches Gedicht, eine Liebeserklärung an ein Stück Erde, das man als Heimat versteht und darum als Teil seiner selbst, das verloren scheint wie die eigene Kindheit und darum stets mit Wehmut besungen wird. ‘Valley Song’ besingt ein kleines Dorf im südafrikanischen Halbwüstengebiet Karrou (wo Athol Fugard geboren wurde) und die Menschen, die in der kargen Landschaft überleben, bescheiden und glücklich, wenn ihre Gebete um Regen erhört werden und die Samen, die sie im Frühjahr auf den Feldern gelegt haben, aufgehen, die Kartoffeln wachsen und die Kürbisse, Kohlköpfe, Möhren, Bohnen und Erbsen gedeihen.
Es ist einer der persönlichsten und intimsten Texte, die Fugard, bei dem das Persönliche stets laut und klar vernehmlich ist, je geschrieben hat; ein ganz stiller, lyrischer Text, der sich bewußt dem lauten Trend der Zeit verweigert und, weil er an etwas rührt, wovon nur wenige noch etwas wissen wollen, nämlich Mitgefühl, aus jedem modernen Bühnenrahmen fällt.
Das Stück erzählt eine ganz einfache kleine Geschichte, die zum Alltag eines Dorfes gehört und zu einem Tal und zu den Menschen, die darin wohnen. Und wie bei den meisten Geschichten gibt es auch hier einen Autor, der sie uns mitteilt, in diesem besonderen Fall mit einer Handvoll Kürbiskerne vor uns hintritt und von dem alten Abraam Jonkers zu sprechen beginnt, den alle ‘Buks’ nennen, und von seiner 17jährigen Enkelin Veronica, die ihn versorgt, doch von einer großen Fernsehkarriere als Sängerin träumt und damit dem alten Mann das Herz schwer macht, weil nach dem Tod seiner einzigen Tochter und seiner Ehefrau Betty, mit der er sich in einsamen Stunden immer noch bespricht, ihm außer diesem zärtlich geliebten Enkelkind sonst keiner geblieben ist.
Im übrigen sorgt er sich um einen weißen Mann, der sich im Dorf auffällt und das verlassene Farmhaus kaufen zu wollen scheint, zu dem die Felder gehören, die Buks seit seiner Jugend betreut und die ihn und seine Familie ernähren. Er fürchtet, vom neuen Besitzer der Farm vertrieben zu werden, wie es bei vielen anderen Landarbeitern in Südafrika geschah, selbst wenn sie schon seit Jahrzehnten auf dem Anwesen ihrer Arbeitgeber zuhause gewesen waren.
Am Ende des Stückes wissen wir, daß Veronica wirklich in die Großstadt ziehen wird, um wie ihre Mutter dort ihr Glück zu suchen, der alte Buks aber bleiben darf und in dem neuen Eigentümer einen Freund und Beschützer gefunden hat. Denn der weiße Mann ist kein anderer als jener Autor, der uns die Geschichte erzählt und der versteht, daß Buks auch ohne offiziellen Rechtstitel ein Anrecht auf die Felder hat, die schon sein Vater bewirtschaftete und ohne die er nicht überleben könnte.
Die Rollen von Autor und Buks sollen vom selben Darsteller gespielt werden, und Athol Fugard scheint sie sich auf den Leib geschrieben zu haben. Sie gehören zusammen wie zwei Seiten ein und derselben Person, die fest daran glaubt, daß wir nur Verwalter dessen sind, was wir besitzen, im Sinne des 24. Psalms, in dem es heißt: “Des Herrn ist die Erde und was sie erfüllt, und der Erdkreis und die darauf wohnen“.
Ohne ausdrücklich darauf zu verweisen, spiegeln die Gedanken und Gefühle der drei Menschen, die wir im Verlauf der Geschichte kennenlernen, die politischen Verhältnisse, die sie umgeben, die Ängste und Zweifel, Hoffnungen und Träume der Menschen im heutigen Südafrika.
Als ich vor der Premiere mit Athol Fugard über die immer noch ungelösten Probleme in seinem Lande sprach, meinte er: “Dies ist noch nicht das neue Südafrika. Das neue Südafrika wartet noch immer auf uns irgendwo in der Zukunft. Wir verlassen erst gerade das Alte und sind unterwegs zum Neuen”.
Fast alles, was aus dem neuen Stück Athol Fugards und seiner bewegenden Inszenierung, inhaltlich wie formal, zu uns spricht, wirkt auf unsäglich schöne Weise unzeitgemäß: die Besinnung auf das Glück des einfachen Lebens; die Einsicht, daß die Menschen zusammengehören; die große Ruhe und Gelassenheit, mit der die Probleme der Welt durchschaut werden und, da von Menschen geschaffen, auch lösbar erscheinen, also abgeschafft werden können; die Erkenntnis, daß wir nur wenig bedürfen, aber ganz anderes; der Mut, auf allen dramatischen und szenischen Firlefanz zu verzichten und sich stattdessen zu ganz elementaren Gefühlen und Überzeugungen zu bekennen, wie etwa zum Glauben an den Menschen und an die Möglichkeit humanen Zusammenlebens – und sich nicht davor zu fürchten, daß uns im Publikum bei dieser Erfahrung vor Glück die Augen übergehen.