“Ich hasse zu hassen, doch so oft schon war ich nicht fähig, genug zu hassen“, heißt es gegen Ende des Stückes ‘uHlanga’ von Mshengu und James Mthoba, das die Workshop ’71 Theatre Company aus Johannesburg im vergangenen Jahr erarbeitet hat und nun im Theatre Upstairs des Londoner Royal Court Theatre zum ersten Mal außerhalb Südafrikas vorstellt.
Was wir in Europa von südafrikanischem Theater wissen, verbindet sich mit dem Namen Athol Fugard, dessen Stücke über das Royal Court ins Londoner Westend, zum Broadway und auf die Bühnen anderer europäischer Länder gelangten. Es ist darum auch kein Zufall, daß Fugard in diesen Tagen nach London zurückkehrte, um die Wiederaufnahme seines Stückes ‘Sizwe Bansi ist tot’ für die größere Bühne des Royal Court vorzubereiten, wo sie die im Obergeschoß laufende Aufführung des Werkstatt-Theaters ‘71 kontrapunktierend begleiten soll.
Drei Gespräche, die ich am Tag nach der Londoner Premiere von ‘uHlanga’ mit dem Co-Autor und Regisseur der Johannesburger Truppe Robert McLaren alias Mshengu, mit Athol Fugard und mit seinen schwarzen Schauspielern John Kani und Winston Ntschona führte, bestätigten den Eindruck, daß das Theater in Südafrika (wie überall in der Welt, wo Kritik an der Regierung des eigenen Landes den Kopf kosten kann) den alten Anspruch, Spiegel zu sein der sozialen Wirklichkeit, noch ganz besonders ernst nimmt. Auf die Frage, ob es in letzter Zeit wesentliche Veränderungen gegeben habe, erklärte Fugard, die Situation in Südafrika habe sich durch die Entwicklung in Mozambique, Angola und Rhodesien in erschreckendem Maße verschlimmert. Was sich heute in Südafrika zeige, sei die Eskalation der Gewalt bis zur großen blutigen Auseinandersetzung.
John Kani und Winston Ntschona, die für ihre Darstellung in ‘Sizwe Bansi’ in London und New York mit der Auszeichnung ‘Beste Schauspieler des Jahres’ geehrt worden waren, berichteten auf einer Pressekonferenz in London darüber, wie sie im Oktober des vorigen Jahres nach einer Vorstellung des Fugard-Stückes in der Transkei von der südafrikanischen Geheimpolizei festgenommen und ohne offizielle Anklage in Einzelhaft gehalten wurden, bis die vehementen Proteste und Demonstrationen namhafter Künstler in England und Amerika nach knapp drei Wochen ihre Freilassung erwirkten, ein Erfolg, für den sich Fugard, Kani und Ntschona bei allen Beteiligten nachdrücklich bedankten.
‘uHlanga’ von Mshengu und James Mthoba ist ein Stück für einen Schauspieler, der mit wenigen Requisiten eine Vielzahl verschiedener Rollen andeutend darstellt. Ein Stück, das in Thematik und Tendenz mit den Werken Fugards manches verbindet, jedoch sich formal von ihnen wesentlich unterscheidet. uHlanga (wörtlich: das Ried) ist ein Begriff aus der Zulu-Mythologie, der auf die Herkunft des Menschen verweist. Er ist zugleich das Symbol für die Verbindung des Menschen mit seinem Ursprung.
Der Kampf der Schwarzen Südafrikas für ein menschenwürdiges Dasein wird im Kontext der gesamtafrikanischen Geschichte gesehen. Mshengu und Mthoba beschwören die Geister der Vergangenheit des großen schwarzen Kontinents, der, so wird unterstellt, einst eine Art Paradies war, das durch das Eindringen der Weißen verloren ging. An einer Folge von Erscheinungen, die signalhaft aus dem kollektiven Unbewußten der afrikanischen Neger zur Oberfläche drängen, soll der Zuschauer die Ereignisse nachvollziehen, die Afrika zu dem gemacht haben, was es heute ist.
James Mthoba als Darsteller imitiert Kinder und alte Männer, arabische Reisende und europäische Missionare, Zulu-Krieger, Step-Tänzer und Pop-Sänger, Kuhhirten und Zauberer, Livingstone, Cecil Rhodes und Albert Schweitzer sowie, gelegentlich, Menschen von heute, die noch an eine bessere Zukunft glauben. Optimismus schlägt durch, ein Optimismus, der angesichts der jüngsten Entwicklungen im südafrikanischen Raum sich mit immer konkreteren Vorstellungen verbindet.
Doch im Gegensatz zu den Stücken Fugards, der das Elend der Entrechteten und Mißhandelten, die Folgen des systematisch geschürten Rassenhasses, in poetisch eindringlichen, erschütternden seelischen Studien darstellt, die in ihrer Einfachheit und meditativen Konzentration an die Werke Samuel Becketts erinnern, läßt uns die Kette scheinbar ungeordneter Assoziationen und flüchtiger Gestalten, die in ‘uHlanga’ an uns vorüber ziehen, eigenartig kalt. Verstanden wird nur die Botschaft, die sich beinahe schon von selbst versteht.
Gibt es also keine Hoffnung mehr auf eine friedliche Lösung in Südafrika? Fugard ist davon überzeugt: Die Möglichkeiten für eine gewaltlose Veränderung der Verhältnisse sind verspielt. Die menschenwürdige Gesellschaft, die es eines Tages auch in Südafrika geben werde (und daran scheint niemand zu zweifeln), werde teuer erkauft sein: mit dem Leben vieler und mit großem Leid.