die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1973
Text # 52
Autor Athol Fugard
Theater
Titel Hello and Goodbye
Ensemble/Spielort King’s Head Theatre/London
Inszenierung/Regie Peter Stevenson
Hauptdarsteller Janet Suzman/Ben Kingsley
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1973.03.21/SWF Kultur aktuell/Nachdruck: Darmstädter Echo

Eine Beckettsche Situation: Ein Mann in einem armseligen Zimmer an einem Holztisch unter nackter Lampe sitzend und die Sekunden zählend, die er mit einem Löffel auf eine Flasche schlägt – Zeit, die ereignislos vergeht. Der Mann leidet unter epileptischen Anfällen, die er durch Ablenkungsmanöver unter Kontrolle hält, Entspannungsübungen, die eilige Rekapitulation von Gewesenem, Erlebnissen, Beobachtungen, Erinnerungen aus einer Vergangenheit, die unbestimmbar weit zurück liegt (“Ist es lange her oder war es gestern?“ – “Ja, etwas dieser Art“). Seine Gedanken bewegen sich im Kreis, er tritt auf der Stelle, redet sich ein, er müsse zufrieden sein mit der Welt und seinem Los, der hoffnungslosen Leere seines Daseins. Er lebt in einer Scheinwelt, offenbar ohne Verhältnis zur Realität der Anderen, als total verinnerlichte Subjektivität.

Die Ankunft seiner Schwester, die nach zwölf Jahren überraschend heimkehrt, schreckt ihn auf: Was will sie hier? Sie ist nicht willkommen, weil sie die traurige Idylle gefährdet. Sie hat sich an Männer verkauft, um in ihrer Armut zu überleben, die über die Familie kam, als der Vater bei einem Arbeitsunfall zum Krüppel wurde. Das Gespräch der Geschwister teilt Einzelheiten der Familiengeschichte mit: daß die Mutter schon vor dem Unfall des Vaters starb, der Vater die Tochter haßte wie sie auch ihn, der Sohn vom beherrschenden Einfluß des Vaters sich nicht zu lösen vermochte und seine Jahre mit der Pflege des bettlägerigen Alten vertat, bis er schließlich bewußtlos funktionierendes Werkzeug des herrischen Kranken geworden war. Noch relativ jung an Jahren, scheint sein Leben am Ende.

Die Schwester hofft, daß der Vater für seinen Unfall eine Entschädigung bekommen habe, eine größere Geldsumme, die er irgendwo versteckt halte; man muß das Geld finden, sie will ihren Anteil haben, und zwar auf der Stelle. Die Wühlerei in Kisten und Kartons fördert Erinnerungen zutage an die gemeinsame Kindheit, aber kein Geld. Als die Schwester sich endlich selbst ins Zimmer des Vaters begibt, entdeckt sie, daß es leer ist. Der Geist des toten Alten beherrscht den Sohn, als wäre der Vater noch leibhaftig da.

Die Schwester nimmt wieder Abschied vom Bruder, der hilflos zurückbleibt und sich an die Krücken des Vaters klammert, ohne die er nicht mehr sein kann. Der Zwang zur Identifikation mit dem gefürchteten Vater treibt ihn schließlich vollends in dessen Rolle: mit den Krücken des Alten übernimmt er dessen Lebens- und Leidensgeschichte. Durch Preisgabe des eigenen Ichs verhilft er dem Vater zur Wiedergeburt.

Athol Fugards Zweipersonenstück spielt in der südafrikanischen Heimat des Autors, des einzigen Stückeschreibers, der sich über die Grenzen seines Landes hinaus einen Namen machte. Fugard bekennt, von Beckett beeinflußt zu sein. Seine Stücke konzentrieren sich auf ein Minimum an Personen und scheuen bühnenbildnerischen Aufwand. Sie beschreiben existenzielle Grenzsituationen, die jedoch im Unterschied zum Theater des Absurden historisch und geographisch an konkrete Wirklichkeit gebunden sind und ganz konsequent sich realistisch-naturalistischer Ausdrucksmittel bedienen.

Fugard schrieb sein erstes Bühnenwerk 1963. Bei der Aufführung von ‘Hello and Goodbye’ in Johannesburg spielte der Autor selbst die Rolle des Mannes. In seinen Stücken beschreibt er das Elend der in einer Wohlstandsgesellschaft Zukurzgekommenen und die Folgen des gesetzlich verordneten Rassenhasses. Man hört, daß ‘Boesman and Lena’, sein bisher wohl bedeutendstes Werk, das mit großem Erfolg auch in New York und London aufgeführt wurde, zurzeit verfilmt werde.

Peter Stevenson ist der Regisseur der britischen Erstaufführung von ‘Hello and Goodbye’ im King’s Head Theatre London. Janet Suzman und Ben Kingsley verhalfen der minutiös naturalistisch erarbeiteten Inszenierung zu ihrem in jeder Hinsicht verdienten Erfolg.

 

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