die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1974
Text # 77
Autor Peter Barnes
Theater
Titel The Bewitched
Ensemble/Spielort Royal Shakespeare Company/Aldwych Theatre
Inszenierung/Regie Terry Hands
Hauptdarsteller Alan Howard
Uraufführung
Sendeinfo 1974.05.09/SWF Kultur aktuell 1974.05.13/ORF Wien/Nachdruck: Darmstädter Echo

Für sein Stück ’The Ruling Class’ gewann Peter Barnes 1969 die Auszeichnung ‘Meist versprechender Autor des Jahres’. ‘The Bewitched’ (Der Verhexte) ist sein zweites abendfüllendes Bühnenwerk; es wurde soeben von der Royal Shakespeare Company uraufgeführt. Ein langer Abend und, mit Verlaub, einer der unerfreulichsten und ärgerlichsten seit langer, langer Zeit. Eine Inszenierung, die man beschimpfen möchte, weil sie allen Kritikern recht gibt, die da behaupten, daß viel zu viel von dem Geld, das für die Künste zur Verfügung steht, von wenigen Großbühnen für Projekte verschwendet wird, die keine Förderung verdienen.

Da muß etwas faul sein im Staat, wenn ein Theaterbetrieb mit der Reputation der Royal Shakespeare Company ein Stück zur Aufführung annimmt, das miserabel geschrieben und ebenso aufwendig pompös wie hohl und oberflächlich inszeniert ist – mit einem Wort: ein Skandal.

‘The Bewitched’ ist der Versuch, ein Theaterstück zu schreiben über Carlos II, den letzten Habsburger auf spanischem Thron, ein Kretin, der nach dem Tod seines Vaters Philipp IV zum König gekrönt wird, obwohl er kaum in der Lage ist zu sprechen, zu essen oder normal zu gehen, ein Epileptiker mit Schlottergelenken, sexuell impotent und zeitlebens sterbenskrank.

Barnes, der Autor, hat, wie man erfährt, sich vieles beim Schreiben gedacht; er hat gründlich recherchiert und, so scheint es, die Übel erblicher Privilegien beschreiben wollen, die – wie in diesem extremen Fall – einen Idioten zum König machen können und nach seiner Willkür dreißig Jahre lang walten lassen. Im Stück, heißt es, gebe es Parallelen zur Gegenwart: von Inflation ist die Rede, von der Entwertung der Werte, dem krassen Gegensatz zwischen Arm und Reich, dem Gegensatz zwischen denen, die Entscheidungen treffen, und jenen, über welche entschieden wird.

Auf der Bühne herrscht chaotisches Durcheinander von Themen, Ereignissen, Darstellungsformen, ein gewolltes Gemisch verschiedener Stilmittel – klassisch deklamatorischer Historienstil und Horrorfilm-Realismus, barockes Welttheater und moderne Groteske, Mysterienspiel, Musical und Kabarett sowie der völlig mißlungene Versuch der Parodie dieser Formen. Ohne erkennbaren Grund fallen die Personen plötzlich von einer Tonart in eine andere; schauerlich ernste Dialoge schlagen um in alberne Witzelein; geflügelte Worte und Werbeslogans springen aus dem Kontext und ernten leichtes Gelächter.

Alan Howard als Carlos II stolpert stammelnd, lallend, sabbernd und blöde grinsend über die Bühne, weißen Schleim erbrechend, windet sich grimassierend mit konvulsivischen Zuckungen am Boden, um im nächsten Augenblick gesund und munter und offenbar von keinem seiner Gebrechen mehr angefochten theatralische Heldenmonologe ins Publikum zu schmettern. Da ist unentwegt die Rede von den Störungen des königlichen Verdauungsapparates und der Größe und Funktionsfähigkeit seines Penis. In einem Waschhaus soll eine Zigeunerin unter Bergen verdreckter Unterwäsche am Beinkleid der Königin den Geruch von Blut herausriechen, womit bewiesen würde, daß sie nicht ordentlich schwanger ist, wie sie behauptet. Die Folterkammern der Inquisition bieten willkommene Gelegenheit zur üppigen Darstellung von Grausamkeiten, über welche die Folterknechte witzeln dürfen. Da müssen riesige Kostümpuppen aufgefahren werden, König und Königin, die während des Autodafés mit Hilfe eines meterlangen goldenen Penis, der wie eine dicke Berta in Position gebracht wird, kopulieren – und so geht das fort und fort, einen langen, traurigen Abend lang. Sinnloser Aufwand, maßlose Verschwendung für eine Sache, die keinen Pfifferling wert ist.

Sicher haben wir schlechtere Stücke, miserablere Inszenierungen gesehen, aber selten an so respektablem Ort.

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