die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1971
Text # 12
Autor Athol Fugard
Theater
Titel Boesman and Lena
Ensemble/Spielort Theatere Upstairs/London
Inszenierung/Regie Athol Fugard
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1971.07.21/BBC German Service-Kulturkaleidoskop

Das kleine Theatre Upstairs ist seit Tagen ausverkauft, und wer das laufende Stück sehen will, muß seinen Platz mindestens eine Woche im voraus buchen. Das hat es schon lange nicht mehr gegeben. Da das Theater fast nur Erstaufführungen von Werken junger Autoren bringt, die noch keinen berühmten Namen haben, darf man sich normalerweise darauf verlassen, daß die Abendkasse stets noch einige Karten bereit hält. Nicht so in diesem Fall, dem Stück ‘Boesman und Lena’ von Athol Fugard. Der Autor ist Südafrikaner weißer Hautfarbe, wohl der einzige, der als Dramatiker über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt geworden ist. Er ist Jahrgang 1932, studierte Philosophie an der Universität in Kapstadt, trampte anschließend einige Jahre durch die Welt, kehrte nach Hause zurück, arbeitete als Journalist und heiratete eine Schauspielerin, die seine Neigung für das Theater weckte. Beide gründeten eine kleine Schauspieltruppe, kamen nach Johannesburg und noch in den fünfziger Jahren nach Sophiatown, einige der wenigen Städte mit schwarzer Bevölkerung, für die man keine besondere Aufenthaltsgenehmigung brauchte, so daß hier noch ein besonders freier, kritischer Geist wehte. Fugard schrieb sein erstes abendfüllendes Stück ‘Kein Karfreitag’, das zunächst nur vor schwarzem Publikum, dann auch an kleinen “weißen“ Bühnen aufgeführt wurde.

Von seinen frühen Stücken hält Fugard heute nicht mehr viel; sie seien zu plakativ-propagandistisch gewesen. Durch den Einfluß Becketts ändert sich für die späten Stücke die dramaturgische Struktur: sie werden einfacher, dichter, beschränken sich auf ein Minimum an Personen und scheuen jeden bühnenbildnerischen Aufwand. Einziges Thema: die Folgen des systematisch geschürten Rassenhasses, der Ideologie der Unmenschlichkeit.

1967 wurde Fugards Reisepaß beschlagnahmt. Doch seine Stücke wurden aufgeführt, ‘Boesman and Lena’ zunächst in Südafrika, dann mit großem Erfolg in New York, nun auch in London. Fugard erhielt sogar seinen Reisepaß zurück, so daß er in der Lage war, sein Stück im Theatre Upstairs selbst zu inszenieren. Es spielt auf einem Müllplatz, den zwei armselige Kreaturen nach brauchbaren Gegenständen durchsuchen, für die ein anderer, ebenso elender Hungerleider noch ein paar Pfennige geben würde. Die da im Dreck wühlen, sind Schwarze in einem der reichsten Länder der Erde, Südafrika, in welchem als Mensch nur gilt, wer die Hautfarbe der Europäer hat, die sich Land und Leute angeeignet und alle Rechte darüber sich selbst überschrieben haben.

‘Boesman und Lena’ ist, wie ein Londoner Kritiker schrieb, “ein Schrei aus ohnmächtiger Wut” gegen Bedingungen, die unauflösbar zu sein scheinen. Boesman und Lena leben vom Abfall der weißen Herren und werden von ihnen selbst wie Abfall und Unrat behandelt, die kein menschenwürdiges Dasein verdienen. In den traurigen Konflikten des Paares spiegelt sich die totale Abhängigkeit von der Gesellschaft, die sie ausgeschlossen und zu “Nomaden im eigenen Land” gemacht hat, zu ängstlichen Tieren, die man hetzt, bis sie – wie jener alte Bantuneger, dem Boesman und Lena im Stück begegnen – elend im Abfallhaufen verenden.

Unter Fugards eigener Regie und mit südafrikanischen Schauspielern, die schon vor Jahren mit ihm zusammengearbeitet hatten, kam eine bewundernswert dichte, eindrucksvolle Aufführung zustande, die durch bloße Darstellung des Elends, ohne oberflächlich politisches Moralisieren, den realen Hintergrund beleuchtet, vor dem dieses Stück entstanden ist.

“Ich glaube nicht“, sagt Athol Fugard, “daß die Gesellschaft, in der ich lebe, die einzige ist, die aus Menschen Abfall macht. Ich glaube, London tut das ebenso erfolgreich. Und genauso New York. Südafrika hat freilich eine ganz besondere Begabung dafür entwickelt“.

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