die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1997
Text # 294
Autor Meredith Oakes
Theater
Titel Faith
Ensemble/Spielort Theatre Upstairs/Royal Court Theatre/London
Inszenierung/Regie John Burgess
Uraufführung
Sendeinfo 1997.10.14/SWF Kultur aktuell/WDR Mosaik 1997.10.15/DLF (versch. Versionen)/Nachdruck: Darmstädter Echo

Im Frühjahr 1993 stellte das Nationaltheater in einer Reihe unter dem Titel ‘Sprungbretter’ fünf neue Theaterstücke vor, darunter auch das Erstlingswerk einer Autorin namens Meredith Oakes ‘The Neighbour’ (Der Nachbar), ein Stück, das einen der Kritiker an die schwarzen Komödien Joe Ortons, einen anderen an Edward Bond erinnerte.

Als ein Jahr später das zweite Stück von Meredith Oakes ‘The Editing Process’ (Schriftleitung) am Royal Court Theatre Premiere hatte, zog ein Kollege Parallelen zu Texten des brillanten Oscar Wilde.

Ihr jüngstes Schauspiel ‘Faith’ (auf deutsch: Glaube/Überzeugung), soeben uraufgeführt im Theatre Upstairs des Royal Court, erlaubt den Vergleich mit den – wie musikalische Werke komponierten – Dialogen des größten unter den noch lebenden Bühnendichtern der englischen Sprache, Harold Pinter.

‘Faith’ führt uns zurück in die frühen achtziger Jahre, als die Regierung der Margaret Thatcher mit dem Beifall der Oppositionsparteien zur Rückeroberung einer dünn besiedelten Inselgruppe in der Nähe der Antarktis einen Krieg mit Argentinien vom Zaune brach.

Das Stück spielt in einem Bauernhaus, in dem die zur Verteidigung von Freiheit und Demokratie angetretenen britischen Soldaten sich breitgemacht haben. In einem nahe gelegenen Schuppen hat man gefangene Argentinier untergebracht. Als man einen amerikanischen Söldner darunter entdeckt, wird er von den empörten Verteidigern der Menschenrechte erst halb bewußtlos geschlagen und gegen Ende des Stückes auf höheren Befehl, um die anglo-amerikanische Verbindung nicht zu gefährden, umgebracht.

Sergeant Toby Spiers hat den Soldatenberuf gewählt im Gedanken an die gesicherte Altersversorgung. Er wollte in der Armee einen ruhigen Posten schieben, aber der Krieg (sagt einer seiner Leute) hat ihm die soldatische Karriere versaut. In der chaotischen Situation, die die Nerven bis zum Zerreißen spannt, versucht der Sergeant verzweifelt, die ihm Untergebenen unter Kontrolle zu halten. Er weiß und ahnt, daß er längst den Respekt seiner Leute verloren hat. Sie wissen, daß er nur durch Nichtbeteiligung an der Ausführung der Befehle, die er an sie weitergibt, sich den Luxus eines Gewissens bewahren konnte, das noch nach Rechtfertigung militärischer Aktionen fragt.

In den knappen, brillant geschriebenen, teilweise irrsinnig komischen Wortwechseln wird die paradoxe Logik der von moralischen Kriterien vollkommen abgelösten, zum Töten ausgebildeten menschlichen Kampfmaschinen auf die absurde Spitze getrieben. Aufgehen soll uns: Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode.

Einer der Soldaten erklärt, was er von den Methoden der Abrichtung zum Töten begriffen hat: “Sie brechen dich, behandeln dich wie Dreck, bis du weißt, wie miserabel das Leben ist. Dann machst du was und wirst dafür gelobt. Du fühlst dich wie neu geboren, bist glücklich über die Anerkennung und daß du nun zu ihnen gehörst. Sie sind jetzt deine Familie. Nur ist’s dann ein kleiner Schock, wenn sie dich hinaus schicken in den Tod, weil eine Familie sowas nicht tun sollte”.

Ein anderer meint: “Wir tun hier etwas, das uns gar nicht gefällt. Ich sage mir, wenn’s mir gar nicht gefällt, beweist das, es ist in Ordnung, denn deswegen sind wir hier”.

Und ein dritter: “Wenn ein Befehl offensichtlich faul ist, muß es einen sehr guten Grund dafür geben. Nicht daß sie gerne faule Befehle geben würden. Aber wenn einer glaubt, er muß einen Befehl geben, der ganz offensichtlich faul ist, dann will er als letztes, daß irgendwer ihn in Frage stellt”.

In einer der vielen glaubhaft absurden Repliken wird das Bekenntnis ‘Britisch und stolz darauf’ über die Stationen ‘Stolz, wenn’s auch noch so blöd ist’ und ‘Auf was Gescheites kann jeder stolz sein’ bis zu der Aussage gesteigert: Loyalität beweisen wir erst, “wenn wir stolz sind auf etwas, das vollkommen blöd ist”.

“Man kann doch nicht stolz sein auf etwas, für das man sich schämt“, sagt der Sergeant an anderer Stelle und kriegt die Antwort: “Deshalb schäme ich mich nie für das, was ich tue“. Sprache denunziert die Sprechenden.

Die da vom Kampf zum Schutz der Freiheit faseln, sind die brutalisierten Gefangenen eines Systems, das sie darauf programmiert hat, in Zirkelschlüssen zu denken, um ohne Skrupel jeden Befehl ausführen zu können, bis zum kaltblütigen Mord.

Die Inszenierung von John Burgesss ist von schmerzhafter Intensität. Es ist ein erstaunliches Stück Theater, das unter die Haut geht, ein Stück aus der Welt der Männer, geschrieben von einer erstaunlichen Frau, die den Wahnsinn durchschaut.

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