Drei Tage vor der Eröffnung des diesjährigen Festivals kam die Katastrophenmeldung: Das soeben erst mit einem Aufwand von sechs Millionen Mark renovierte Playhouse Theatre, Edinburgs größtes Theater, in Flammen – Sachschäden in Höhe von zwei Millionen Mark – Vermutliche Ursache: Brandstiftung – Drei der wichtigsten Veranstaltungen, die auf die große Bühne angewiesen waren, darunter Peter Steins ‘Falstaff’-Inszenierung, müssen abgesagt werden. Es war, als wenn der Schlagzeuger eines großen Orchesters unmittelbar vor dem Beginn eines Konzertes, als der Dirigent gerade den Taktstock erheben wollte, mit ganzer Kraft auf die große Pauke geschlagen hätte.
Obwohl das Feuer einen Teil der Garderoben und den Requisitenraum zerstört hatte und in dem neu bestuhlten Auditorium erhebliche Rauchschäden entstanden waren, wurde zwei Tage später Entwarnung gegeben: Die Ballettvorstellungen könnten in eine Edinburger Sporthalle überführt werden, die gefährdeten Operninszenierungen aber würden, wie ursprünglich vorgesehen, im angesengten Playhouse Theatre vorgestellt. Gleichzeitig kam die Meldung, daß das noch im Bau befindliche neue Edinburgh Festival Theatre bis zum nächsten Sommer für alle großräumigen Inszenierungen zur Verfügung stehen werde.
Wie in jedem Jahr, gab es zum Auftakt des ‘größten Festivals der Künste in der Welt’ auch diesmal die widersprüchlichsten Ansichten zum offiziellen Programm. Einige meinten, ein so vielseitiges und interessantes Programm habe es seit langer Zeit nicht gegeben. Andere erklärten, Festivaldirektor Brian McMaster habe in dem Bestreben, das Besondere zu bieten, eine Auswahl von Stücken und Inszenierungen getroffen, die keiner sehen wolle. Roy Hattersley, von Beruf Journalist und einer der klügeren Köpfe der Labour-Partei, ließ wissen: Früher sei er nach Edinburg gereist wegen des Festivals; heute komme er zum Festival, weil es in Edinburg stattfinde, der schönsten aller britischen Städte und einem der freundlichsten Orte der Welt.
Besonders auffallend in diesem Jahr ist die starke deutsche Vertretung: Zwei Peter-Stein-Inszenierungen, zwei weitere Gastspiele aus Berlin sowie drei Stücke von dem in Großbritannien bislang unbekannten Jakob Lenz, darunter die britische Erstaufführung der ‘Soldaten’ in einer Inszenierung der angesehenen Citizens Company aus dem benachbarten Glasgow. ‘Die Perser’ nach Aischylos unter der Regie von Peter Sellars, eine Koproduktion mit den Salzburger Festspielen, wurde aus diesem Grund, trotz ihrer durch und durch amerikanischen Qualitäten, schon halbwegs den deutschen Importen zugerechnet.
Im Verhältnis zur Reaktion der britischen Kritiker – die meisten lehnten die Inszenierung mit ungewöhnlicher Heftigkeit ab (“Sellars mordet Aisschylos” war eine der Überschriften) – schien die amerikanische Perser-Variante in Salzburg sehr glimpflich davon gekommen zu sein. Weil ihr Konzept, der Vergleich zwischen dem Verteidigungskrieg der Griechen gegen die persische Supermacht und dem Vergeltungsschlag der USA gegen Saddam Hussein, fast nirgendwo aufgeht und voll gedanklicher Ungereimtheiten steckt, mußten Sellars und sein Autor Robert Auletta trotz bester Absicht mit ihrem Vorhaben scheitern.
Aus deutscher Sicht von besonderem Interesse war die Uraufführung der ersten autorisierten Bühnenfassung von Thomas Manns Novelle ‘Tod in Venedig’, vorgestellt von dem Ensemble Red Shift im großen Rahmenprogramm des Festivals, das in diesem Jahr mit über 12.000 Veranstaltungen einen neuen Rekord aufstellt. Jonathan Holloway hat die im Text der Novelle entthaltenen Dialoge übernommen und die erzählenden Passagen auf die vier Darsteller verteilt, die sämtliche Rollen spielen. Michael Sheldon als Gustav von Aschenbach, der im Aussehen an den jüngeren Thomas Mann erinnert, zeigt die Gestalt eines feingeistigen, nervösen, innerlich zerrissenen und zerquälten Charakters, der in der italienischen Umgebung in immer größere seelische Not zu geraten scheint.
Für die zahlreichen Ortswechsel hat der Bühnenbildner David Roger eine genial einfache Lösung gefunden: Vier dreieckige Säulen, die, von den Darstellern gedreht und auf Rollen hin- und herbewegt, die wechselnden Szenenorte andeuten – die Marmorwände des Grand Hotel, die algenbegrünten, verwitterten Mauern der venezianischen Paläste oder das tiefblaue Meer unter blaßblauem Himmel am Lido. Ein andermal öffnen sich die Säulen und werden zu Altären oder zu hohen Schränken, aus denen Aschenbachs Garderobe entnommen oder der schmale Tisch einer Hotelrezeption herausgeklappt werden kann. Ein schwarzer Rundstab ist einmal die Stange eines Gondoliere, dann Balustrade, dann sogar der durch die Peinlichkeit des Augenblicks ins Gigantische vergrößerte Bleistift, der dem verzückten Aschenbach aus der Hand gleitet und mit polterndem Getöse die Treppenstufen hinunterfällt.
Jonathan Holloways Inszenierung werde dem Original viel eher gerecht als Viscontis berühmter Film, befand der Kritiker der ‘Sunday Times’. Sie zeige, daß der eigentliche Konflikt in Aschenbachs Seele stattfinde. “Man empfindet sowohl den Zauber, als auch die außerordentliche Klaustrophobie der Stadt Venedig als fatalen Hintergrund zu diesem Seelentod”.