die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1973
Text # 56
Autor Edward Bond
Theater
Titel The Sea
Ensemble/Spielort Royal Court Theatre/London
Inszenierung/Regie William Gaskill
Uraufführung
Sendeinfo 1973.05.24/SWF Kultur aktuell 1973.05.25/DLF Köln/BBC German Service/Nachdruck: Darmstädter Echo

Die Freunde des harten Bond werden enttäuscht sein: Edward Bond hat eine Komödie geschrieben, die zwar streckenweise sehr spaßig ist, auch nicht ohne satirische Züge, die an seine früheren Werke erinnern, doch vor allem in den Passagen des Stückes, in denen der Autor auf philosophischen Tiefgang schaltet, besonders flach erscheint.

Die Enttäuschung über Bonds neue weiche Welle wird kaum gemildert durch die Tatsache, daß diese Entwicklung seit ‘Lear’, Bonds letztem Publikums-Shocker, eigentlich schon vorauszusehen war. Der Bondsche Lear, der noch im Verlauf des Stückes die furchtbarsten Greuel erleben muß und dabei vom bösen Despoten zum friedfertig-menschenfreundlichen Weisen sich läutert, starb in Gaskills Londoner Inszenierung beim sinnlosen Versuch, die von ihm erbaute Grenzmauer eigenhändig niederzureißen, mit theatralischer Christuspose den vom Autor offenbar nicht für sinnlos gehaltenen Heldentod. Lears tragisches Ende war gut idealistisch konzipiert. Revolutionen mochten vergeblich sein, Übel und Mißstände unausrottbar, doch beim Einzelnen lag Hoffnung, da schien noch Optimismus am Platze, wenn auch nicht für die Welt, die im Argen blieb.

‘The Sea’ ist eine Komödie mit Happy End für ein junges Paar, die Verlobte eines Jungen, der im Meer ertrank, und dessen Freund, der sich beim Kentern des Bootes an Land retten konnte. Das Stück spielt am Anfang dieses Jahrhunderts in einem Dorf irgendwo an der englischen Küste. Es ist eine Folge anekdotischer Szenen aus dem Leben der kleinen Gemeinde, die von einer älteren Dame der ‘Upper Class’ dominiert wird. Ihr Gegenspieler ist ein kleiner verrückter Textilwarenhändler der von dem Wahn verfolgt wird, daß Astralwesen die Erde bedrohen und an deren schwächstem Punkt, ausgerechnet in jenem Dörfchen, zum entscheidenden Angriff übergegangen seien. Die Weigerung der Lady, einen von ihr bestellten Gardinenstoff abzunehmen, bringt den armen Mann vollends um den Verstand. Auf dem Höhepunkt seines Wahns stürzt er sich auf die an den Strand getriebene Leiche des Ertrunkenen und sticht mit einem Messer auf ihn ein, weil er ihn für eines der gefährlichen Fremdwesen hält.

Das Stück zeigt, wie der Freund des Ertrunkenen im Hause der Lady Aufnahme findet, der Tante des Mädchens, das sich überraschend schnell über den Verlust ihres Verlobten trösten und am Ende mit ihrem neuen Partner davonziehen wird. Die Begegnung des Jungen mit einem versoffenen Alten, der wie ein Eremit in einer Hütte am Meer haust, gewinnt im Verlauf des Stückes besondere Bedeutung, weil der Alte Edward Bonds neue Philosophie der Hoffnung verkünden muß. Die Proben für eine Laienspielaufführung unter Leitung der gestrengen Lady und die Trauerfeier auf den Klippen am Meer, bei der die Asche des Toten in alle Winde verstreut werden soll, gerieten in William Gaskills Inzenierung zu grotesk-komischen Höhepunkten des Stückes, das dank der hervorragenden schauspielerischen Leistung von Carol Browne als Lady und Ian Holm in der Rolle des verrückten Stoffhändlers beim Publikum entsprechend gut ankam.

Die Londoner Kritiker, die nach Bonds Erfolgen im Ausland von seiner Bedeutung endlich überzeugt zu sein scheinen, reagierten auf das neue Stück ungewöhnlich positiv. “Diesmal geht Bond mit seinen Figuren freundlich um“, schrieb der Kritiker der ‘Times’ erleichtert. “Was das Stück sagt, wird durchwegs mit den Mitteln der Komödie ausgedrückt, abgesehen von den philosophischen Passagen“. – “Edward Bond bezeichnet sein neues Stück als Komödie“, hieß es im ‘Gardian’, “aber als Werk von Bond ist es eine Komödie besonderer Art; wie in Shakespeares ‘Sturm’ beginnt es damit, daß ein Mann im stürmischen Meer ertrinkt, und das ganze Stück zeigt die poetische Einsicht in Verlorenheit und Leid des Menschen. Aber gerade weil das Stück wilde Farce-Elemente mit solchen der Tragödie vermischt und mit einem Strahl der Hoffnung endet, halte ich es für besser als ‘Lear’, weil es eine weniger irre, verzerrte Vision des Universums bietet“. “Was an diesem Stück so fasziniert, ist die Mischung aus öder Poesie und sozialer Komödie”. – Nur der Kritiker des ‘Evening Standard’ reagierte enttäuscht und schrieb mit unverkennbarer Ironie, die wie eine vorweggenommene Antwort auf die freundlichen Kommentare der Herren Kollegen wirkte: “Mr Edward Bond mag natürlich glauben, daß diese seltsame Sammlung ungleichartiger Charaktere tiefere, universale Bedeutung habe. Doch wenn dem so ist, muß ich gestehen, es kam nicht bei mir an“.

“Gib die Hoffnung nicht auf“, sagt der Alte am Schluß des Stückes, “die Wahrheit wartet auf dich, du wirst sie finden“. “Du mußt daran glauben“, heißt es etwas früher. Bond, der Radikale, Negative, ist gutgläubig geworden; er ist unter die Optimisten gegangen.

Nach Oben