die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1997
Text # 293
Autor Snoo Wilson
Theater
Titel HRH
Ensemble/Spielort Playhouse Theatre/London
Inszenierung/Regie Simon Callow
Sendeinfo 1997.10.11/DLR/SDR/WDR Skala/Nachdruck: Darmstädter Echo

Im November 1995 zeigte das britische Fernsehen einen zweiteiligen Dokumentarfilm mit dem Titel ‘Edward VIII: Der Verräter-König’. Anhand bisher unveröffentlichter Dokumente und neuer Zeugenaussagen versuchte der Autor des Films Nigel Anthony den Nachweis zu führen, daß hinter der offiziellen Version der Geschichte, der rührenden Legende von einem König, der aus Liebe zu einer Frau auf seinen Thron verzichtete, sich eine dunklere Wahrheit verbirgt, die uns auf Betreiben der königlichen Familie mit dem Einverständnis der britischen Regierungen bis zum Ablauf der für die Geheimhaltung von Interna aus dem Königshaus garantierten hundert Jahre vorenthalten werden sollte.

Ende August dieses Jahres erfuhr man von einem Theaterstück des englischen Autors Snoo Wilson zum gleichen Thema. “The Duke and Duchess of Windsor ... the whole truth” (die ganze Wahrheit), versprach eine Pressemeldung. Vor der Premiere warben Plakate und Anzeigen mit den Bildern der Windsors – der Herzog mit frech gekritzeltem Hitlerbart, seine Frau Wallis mit aufgemalter goldener Krone. Snoo Wilson, der Autor des Stückes ‘HRH’ (die Anfangsbuchstaben des britischen Titels ‘Ihre Königliche Hoheit’), nannte es “die psychologische Studie eines natürlichen Faschisten“.

Dies alles ließ vermuten, daß das Stück sich auf den brisanten politischen Hintergrund, Edwards allzu enge Beziehung zu Nazi-Deutschland und die in den letzten Jahren dazu gemachten neuen Entdeckungen, konzentrieren werde.

Heute wissen wir, daß Edward von der Regierung Baldwin und prominenten Vertretern des britischen Establishments zur Abdankung gedrängt wurde, weil man den König wegen seiner faschistischen Neigungen für ein nationales Sicherheitsrisiko hielt, und daß Edwards Verbindung zu der zweimal geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson dafür nur den willkommenen Vorwand lieferte.

Wir wissen, daß der nach seiner Abdankung zum Herzog von Windsor Degradierte noch unmittelbar vor dem Ausbruch des Krieges in Frankreich mit Nazi-Agenten ständigen Umgang hatte und Staatsgeheimnisse an die Deutschen weitergab; daß er 1937 bei seinem Deutschlandbesuch, bevor er von Hitler empfangen wurde, ein Konzentrationslager besichtigte. Wir wissen, daß im Januar 1940 beim Absturz eines deutschen Flugzeugs in Belgien Hitlers Angriffspläne für die bevorstehende Westoffensive in die Hände der Alliierten fielen und der Herzog von Windsor dies den Deutschen verriet, die daraufhin mit einer Änderung ihres Schlachtplans den Gegner überraschen und in 35 Tagen bis nach Paris vordringen konnten.

Wir wissen, daß der Herzog im Rang eines britischen Generalmajors beim Eintritt seines Landes in den Krieg mit Hitler nicht nach Großbritannien zurückkehrte, sondern sich nach Spanien absetzte, was einer Desertion gleichkam; daß er dort mit deutschen Agenten verkehrte und die Deutschen zur Bombardierung der englischen Städte ermutigte, weil er glaubte, daß Hitler den Krieg gewinnen und ihn auf den britischen Thron zurückbringen werde.

Und wir wissen, daß er nach seiner Ernennung zum Gouverneur der Bahamas Insel (eine Zwangsmaßnahme der Briten, die ihn dem Einfluß der Nazis entziehen sollte) selbst auf dem Höhepunkt des Krieges Geheimnisse an die Deutschen verriet, über die Verbindung zu deutschen Banken in Mexiko mit illegalen Geldgeschäften riesige Profite machte und auch nach Kriegsende diese illegalen Geschäfte weiterführte.

Wer von alldem freilich nichts wüßte und, von der Werbung ihrregeführt, ins Theater käme, die versprochene “ganze Wahrheit” über den Duke und die Duchess von Windsor zu erfahren, wäre bitter enttäuscht. Snoo Wilsons Zweipersonenstück ‘HRH' zeigt die Windsors auf den Bahamas, einem Ort, den vor allem Wallis als “Hölle” empfindet. Was sie besprechen, bezieht sich nur indirekt auf den politischen Hintergrund und ist im ganzen von erschreckender Trivialität und Belanglosigkeit. Von seiner Frau David genannt, tänzelt der Herzog hin und her zwischen Whiskyflasche und Telefon, spielt mit seinem Stoffhund, vernäht ihm das aufgeplatzte Hinterteil oder greift zum Strickzeug, bläst den Dudelsack oder singt alberne Liedchen zur Banjo-Begleitung, während Wallis alle Register eines verwöhnten, gelangweilten amerikanischen Luxusweibchens zieht, das ihren dümmlichen Ex-König an der Nase herum führt und kein Hehl daraus macht, daß sie viel lieber mit anderen Männern schläft.

Die wiederholten Anspielungen auf ungewöhnliche Sexualpraktiken und Wallis’ schwelgerisch-metaphorische Beschreibung eines Geschlechtsaktes wirken peinlich und degoutant. Es mag nicht leicht sein, sich die historischen Vorbilder als geistreiche, komplexe Wesen vorzustellen, deren Gespräche über sich und die Welt uns auch heute noch interessieren können. Aber die ungemein oberflächliche, billige Art der Ausstellung der zu Karikaturen der Dummheit, Gier und Eitelkeit reduzierten Gestalten hat etwas Hämisch-Denunziatorisches, das sowohl das Stück wie Simon Callows nichtssagende Inszenierung zu einem obszönen Ärgernis macht. Ein verlorener Abend, der bitter und traurig stimmt.

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