die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1988
Text # 230
Autor Tom Stoppard
Theater
Titel Hapgood
Ensemble/Spielort Aldwych Theatre/London
Inszenierung/Regie Peter Wood
Uraufführung
Sendeinfo 1988.03.08/SWF Kultur aktuell/RIAS/SRG Basel 1988.03.10/WDR/HR/SFB/Nachdruck: Darmstädter Echo

Tom Stoppards neues Stück ‘Hapgood’ (der Titel nennt den Namen der weiblichen Hauptrolle) ist eine Art ‘spy thriller’, so etwas wie ein dramatisierter Spionageroman.

Hapgood ist eine Agentin in den oberen Etagen des britischen Geheimdienstes mit rotem Telefon, einer Direktleitung nach Downing Street und einem unehelichen Sohn, Kind der Liebe zu einem in Königsberg geborenen russischen Physiker namens Josef Kerner, ein sowjetisch-britischer Doppelagent, der jeden Versuch, ihn auf eine Seite zu ziehen, mit dem Hinweis abwehrt, auch in dem wissenschaftlichen Streit, ob das Licht aus Wellen oder Partikeln bestehe, gebe es nur eine Antwort: Licht sei beides, partikel- und wellenförmig, mal dieses, mal jenes, ein logisch nicht auflösbarer Tatbestand. “Der Akt der Beobachtung schafft die Wirklichkeit ... Ein Doppelagent ist wie die Täuschung des Lichts”.

Das Spiel beginnt in einer öffentlichen Badeanstalt. Zwei identisch aussehende Russen (erkennbar an ihrer Kopfbedeckung; Zwillinge, wie wir erfahren) und andere verdächtige Wesen tragen identisch aussehende Aktenkoffer herein, schieben sie unter den Türen der Umkleidekabinen hin und her, tragen sie wieder hinaus; ein lustiges Kommen und Gehen. Nach einem Treffen zwischen Kerner und Blair im Londoner Zoo (mit zwei ausgestopften Giraffen im Hintergrund), einem Gespräch am Rand eines Sportplatzes und einer Versammlung in Hapgoods Büro haben wir das Gefühl, das Personal des Stückes einigermaßen zu kennen.

Doch dann verheddern sich die Fäden zum unentwirrbaren Knäuel. Einer nach dem anderen gerät in den Verdacht, in Wahrheit für die Sowjets zu spionieren. Die Ereignisse überstürzen sich: Kindesentführung, Erpressung, Verrat und Gegen-Verrat, wobei nicht mehr zu unterscheiden ist, ob die Vorgänge wirklich oder nur vorgetäuscht sind. Die Doppelgänger vermehren sich: Auch Ridley hat einen Zwillingsbruder (oder scheint es nur so?), auch Hapgood eine Zwillingsschwester, die Ridley (nur welcher?), um sich selbst und Hapgood aus der Patsche zu helfen (man weiß nicht recht wie und weshalb), zum Rollentausch überreden will oder muß – und so fort und fort. Und dann, nach einer Vielzahl weiterer Wendungen, die das Publikum wieder und wieder an der Nase herum führen sollen (und längst hat man aufgehört, noch wissen zu wollen, wer mit wem was und warum) der offene Schluß.

Die absurde Welt der Geheimdienste, fragt sich der ratlose Zuschauer, als Metapher für die Absurdität unserer Welt? Ich glaube kaum. Neulich beschrieb ein englischer Bühnenautor eines seiner Werke mit Stolz als “unauslotbar seicht“. Ist es denn ausgemacht, daß es einen Hintersinn geben muß, wenn sich im Vordergrund kein Sinn ausmachen läßt?

Von der Blässe solche Gedankengänge nicht angekränkelt, hat Regisseur Peter Wood (mit freundlicher Hilfestellung des auch noch während der Proben am Text seines Stückes feilenden Autors und somit wohl auch in dessen Sinne) das Werk als harmlos ulkigen Irrwitz auf die Bühne gebracht.

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