die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1988
Text # 241
Autor Howard Brenton
Theater
Titel The Churchill Play
Ensemble/Spielort Barbican Theatre/Royal Shakespeare Company/London
Inszenierung/Regie Barry Kyle
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1988.12.02/SWF Kultur aktuell/DLF/WDR/RIAS/SRG Base/SFB (teilw.) Nachruck: Darmstädter Echo 005/Barbican Theatre/Royal Shakespeare Company/London

Howard Brentons Schauspiel ‘The Churchill Play’, geschrieben 1974, war ein prophetischer Ausblick in die Achtzigerjahre, die Warnung vor der Gefahr des Totalitarismus. Es malte den Teufel an die Wand, um ihn zu bannen. Doch der zeigte sich unbeeindruckt. Vierzehn Jahre danach hat die Wirklichkeit einen Teil der Voraussagen bereits eingelöst; der Zukunft, vor der wir gewarnt werden sollten, ist England inzwischen ein ganzes Stück näher gekommen. Die Ahnung, daß eine extrem konservative Regierung an die Macht kommen werde, die Bergarbeiter in den Streik gehen und neue drakonische Gesetze geschaffen würden, die die Rechte der Bürger immer mehr einschränken, die der Polizei dafür immer mehr ausweiten, hat sich tatsächlich erfüllt. Anderes (wie die Folgen des Falklandkrieges, die Kastration der Gewerkschaften und die Auswüchse des Hooliganismus) war nicht vorauszusehen. Die Royal Shakespeare Company stellt das Stück nun in einer vom Autor gründlich überarbeiteten neuen Fassung vor. Thematik, Voraussetzungen und der Tenor des ganzen sind gleich geblieben.

Das Stück spielt in der nahen Zukunft. Die zur Terrorismusbekämpfung in Nordirland erlassenen Notstandsgesetze mit der dazugehörigen Vollmacht, Verdächtige ohne Anklage in Haft zu halten, hat (so wird unterstellt) zur Vernichtung der IRA und zur Befriedung der Provinz geführt. Die in Nordirland erfolgreich erprobten gewaltsamen Mittel der Repression werden inzwischen auch auf dem britischen Festland zum Einsatz gebracht. Massenverhaftungen sind die Folge; die Opposition ist effektiv ausgeschaltet; die Gegner der über das Land verhängten polizeistaatlichen Ordnung sitzen hinter Schloß und Riegel.

Schauplatz des Stückes ist eines der vielen Internierungslager, die man zur Entlastung der überfüllten Gefängnisse geschaffen hat. Es beginnt mit der spektakulären Szene am Sarg des gerade verstorbenen Winston Churchill, an dem vier Soldaten die Ehrenwache halten. Zu ihrem Schrecken sehen sie, wie der Tote wieder zum Leben erwacht, sich in seinem Sarg aufrichtet und nach Feuer für seine Zigarre verlangt. Erst als sich ein Sergeant lautstark einmischt, merken wir, daß es sich hier um eine Theaterprobe handelt. Die Darsteller sind Häftlinge des sogenannten ‘Camp Churchill’, eines der von der Armee bewachten, euphemistisch ‘Erziehungs- und Rehabilitationszentrum’ genannten Internierungslager für Dissidenten des Regimes. Man hat den Häftlingen zugestanden, zur Feier von Churchills Geburtstag ein von ihnen selbst verfaßtes Theaterstück vor einer Delegation von Parlamentsabgeordneten aufzuführen.

Bis es wirklich dazu kommt, haben wir Gelegenheit, die Insassen des Lagers und ihre Bewacher kennen zu lernen: den ehemaligen Redakteur einer Provinzzeitung, der es gewagt hatte, die schmutzigen Methoden der Terrorismusbekämpfung bekanntzumachen; einen idealistischen Gewerkschafter; ein paar zwielichtige Gestalten irischer oder schottischer Herkunft; einen Aufsässigen, den man zutode foltert; einen durch eine Personenverwechslung verhafteten Waliser; einen blutrünstigen Sergeant mit Falklandkriegserinnerungen; brutalisierte Soldaten und ihre Offiziere; und einen von moralischen Skrupeln gequälten Militärarzt.

In einer der leisesten und zugleich stärksten Szenen meditiert der alte Journalist Joby Peake über den allmählichen, unmerklichen Verlust der Freiheit: “ Wann haben wir sie verloren? Dort, damals oder eines Abends irgendwann in den Achtzigerjahren? Man weiß irgendwann, es gibt keine Freiheit mehr. Aber wann ging sie verloren?“.

In dem von ihm konzipierten ‘Churchill Play’ spielt Joby die Titelrolle. Er zeigt, daß hinter der Fassade des kalt kalkulierenden Staatsmannes und großen Orators sich ein menschliches Wesen verbirgt mit Erinnerungen an eine unglückliche Kindheit, tiefen Depressionen und der ihn ständig verfolgenden Angst vor der Ansteckung durch Syphilis, die seinen Vater zugrundegerichtet hatte. Joby vergleicht sie mit der schleichenden Krankheit zum Tode der Freiheit.

Als die Aufführung des Churchill-Stückes zuende geht, proben die inhaftierten Plebejer den wirklichen Aufstand, den die militärische Übermacht ohne Mühe, schnell und wirksam erstickt. Dem Abgeordneten der Labour-Partei dämmert es, daß man vor Jahren etwas hätte tun müssen, als man mit demokratischen Mitteln die unheilvolle Entwicklung noch hätte aufhalten können. Nun ist es zu spät. – “Ich war Journalist”, klagt Joby sich an. “überfüllte Gefängnisse, üble Gesetze, Stacheldraht und Gewehre – das waren für uns nur ‘gute Stories’. Ich habe nichts bemerkt. Bis es zu spät war“.

‘The Churchill Play’ ist kein politisches Traktat, sondern ein spannendes Theaterstück voll bitterböser Komik. Es sei sein “Protest gegen das, was uns heute geschieht“, erklärt Howard Brenton, “ein Versuch, die Dunkelheit sichtbar zu machen“. Seine Botschaft: “Sorgt, daß so nicht unsere Zukunft sein wird!”.

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