Harold Pinters neues Schauspiel ‘Moonlight’ (Mondschein), soeben uraufgeführt im Londoner Almeida Theatre unter der Regie von David Leveaux, nimmt viele der alten Motive wieder auf, die wir aus früheren Pinter-Texten kennen, und ist doch eines der geheimnisvollsten Stücke des großen englischen Bühnendichters.
Ein Mann liegt in einem prunkvollen Bett, auf einem Stuhl daneben sitzt seine Frau. Sie ist mit einer Stickarbeit beschäftigt. Der Mann fragt, ob sie die Söhne erreicht habe, er liege im Sterben, da sollten sie doch zur Stelle sein. Der Dialog bricht ab. Sekunden später sind wir in einem anderen, sehr viel schäbigeren Raum mit Tisch und Bett und lernen die verlorenen Söhne kennen, Jake und Fred; und kurz darauf auch Maria, die beste Freundin der Eltern, und Ralph, ihren Ehemann, die nacheinander im Zimmer der jungen Leute erscheinen und ihnen von alten Zeiten erzählen. Auch Andy, der sterbende Vater, und seine Frau Bel sprechen fast nur von der Vergangenheit, als wäre es die einzige Zeitdimension, in der sie noch denken können.
Auch wenn die erinnerten Fakten sich oft widersprechen, erfahren wir doch manches über das intime Viererverhältnis: daß nicht nur Andy seine Frau und seinen angeblich besten Freund mit dessen Ehefrau betrog, sondern auch Ralph und Bel ein sexuelles Verhältnis hatten und es zumindest zwischen den Frauen auch eine homosexuelle Verbindung gab. Und aus den Gesprächen der Söhne und ihrem Verhalten läßt sich schließen, daß sie sich von ihrem Zuhause abgesetzt haben, weil sie das Verhältnis zu den Eltern, besonders zu dem despotischen Vater, einem vermögenden, ehemaligen hohen Regierungsbeamten, als unerträgliche Belastung empfinden. Auch die im Hause verbliebene jüngere Tochter Bridget, ein engelhaftes Wesen, das offenbar mondsüchtig ist und von Zeit zu Zeit im weißen Nachthemd durch die Wohnung geistert, scheint sich der verpflichtenden Bindung an die Eltern, für die sie, die Tochter, doch nun “alles” sei, “was ihnen blieb im Leben”, nur allzu bewußt zu sein.
Das Stück hat keine Handlung. Die Konstellation, die es zeigt, verändert sich nicht. Der Augenblick Gegenwart, den es festhält, ist nichts anderes als geronnene Vergangenheit. “Alles, was mir geschah, wird für immer bei mir sein“, hieß es in dem an Becketts ‘Spiel’ erinnernden Text ‘Family Voices’, den Pinter vor dreizehn Jahren schrieb und der nun wie eine Vorstudie zu ‘Moonlight’ erscheint.
Andere Themen klingen an, die Pinter seit langem beschäftigen: die Unzuverlässigkeit des Gedächtnisses; die seelischen Grausamkeiten, die selbst nahestehende Menschen einander zufügen; die Not, sich mitteilen zu wollen und einander nicht zu erreichen; der Betrug zwischen Ehepartnern, die sich irgendwann Treue geschworen und sie später gebrochen haben; die dabei manchmal entstehenden absurden Kreuz- und Querverbindungen.
Wieder ist die Sprache aufs Äußerste verdichtet und musikalisch-rhythmisch bis in die kleinsten Nuancen durchkomponiert. Aus der Spiellust im Umgang mit Namen, die wie magische Formeln aufgereiht werden, stereotypen Redewendungen, Fangfragen, Ausflüchten, Ablenkungen und Wortverdrehungen entstehen sprachliche Konstellationen die sich verselbstständigen und nicht mehr eindeutig zu entziffern sind. Jeder Dialog ist eine Herausforderung zu einem anspielungsreichen Tanz mit Worten, der ganze Text ein großes szenisches Gedicht. Selten hat Pinter die sprachlichen Pointen mit soviel frechem, hintergründigen Witz explodieren lassen.
Die Botschaft bleibt rätselhaft dunkel, wie unser Wissen vom eigenen Tod, über den Andy mit irrsinnig kreisender Logik vergeblich meditiert. Das ganze Leben mag uns am Ende erscheinen wie die Wanderung eines Mondsüchtigen. Bridget spricht von einer Einladung zu einer Party, die erst beginne, wenn der Mond untergegangen ist, und in einem Haus stattfinde, das “am Ende einer Straße liegt”: “Das Haus und seine Fenster waren dunkel. Da war kein Laut. – Ich stand im Lichtschein des Mondes und wartete auf seinen Untergang”.