die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1989
Text # 372
Theater/ Kulturpolitik
Titel Zum Tod von Laurence Olivier
Hauptdarsteller Laurence Olivier
Sendeinfo 1989.07.11/RIAS /1989.07.12: SWF, SFB, RB/1989.07.14 Basel/Nachdruck: Darmstädter Echo
O-Ton 1: Hamlet „To be or not to be“, gesprochen von Laurence Olivier.

O-Ton 2: Ansage BBC TV-News „Laurence Olivier, Britain’s greatest actor, is dead. From the National Theatre he created and loved this tribute: ‚He was a titan, we shall not see his like again‘“ – Titelmusik ‚BBC News‘ – „Good evening!, Laurence Olivier, the greatest actor of modern times, is dead. He was 82 and died peacefully in in his home in West Sussex.“

Laurence Olivier, der größte Schauspieler unserer Zeit ist tot. Für die meisten von uns, die ihn ein Leben lang bewunderten, wird Sir Laurence, Lord Olivier, Larry, was immer geschehen mag, der Größte bleiben. Ein Mann der als Shakespeare-Darsteller nicht seinesgleichen zu haben schien und auch in den bedeutendsten seiner modernen Rollen schier unvorstellbare Wirkungen erspielte.

Durch die Möglichkeit der Verfilmung von Bühnenstücken ist es gelungen, etwas von der Faszination der sonst sehr flüchtigen Kunstform Theater, von der elementaren Gewalt, der sinnlichen Schönheit unwiederbringlicher Augenblicke festzuhalten. Dies gilt hier vor allem für die großen Shakespeare-Rollen Oliviers, seinen Heinrich V, Hamlet, Richard III, Othello und Shylock, sowie für die zahllosen Film- und Fernsehrollen, die Laurence Olivier in den sechs Jahrzehnten seiner Karriere spielte; von den romantischen Filmen der Hollywood-Filme ‚Wuthering Heights‘ oder ‚Rebecca‘ aus den Dreißiger Jahren, über die Verfilmung des für ihn geschriebenen Stückes ‚The Entertainer‘ von John Osborne bis zu seiner letzten großen Shakespeare-Rolle, seinen für das britische Fernsehen 1983 produzierten ‚Lear‘.

Was nicht auf Filmen festgehalten werden konnte, wird mit der Erinnerung derer, die es erlebten, vergehen. Wie etwa Oliviers Darstellung des James Tyronne in O’Neills ‚Eines langen Tages Reise in die Nacht‘, für mich noch immer eine der stärksten Theatereindrücke meines Lebens. Dem ungefilmten Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze.

Ich werde nie vergessen, wie ich als Schüler die ersten Shakespeare-Filme Oliviers sah und von der charismatischen Persönlichkeit des Mannes so überwältigt war, daß meine Liebe zum Theater zur Leidenschaft wurde, die auch meine beruflichen Wege bestimmen sollte.

Da war ein Schauspieler mit einer unglaublichen Präsenz, einer magnetischen Ausstrahlung, die alle anderen, selbst die großen Kollegen John Gielgud und Ralph Richardson, die in einigen Filmen mit ihm vor der Kamera standen und in vielen Vorstellungen mit ihm auf der Bühne gestanden hatten, klein erscheinen ließ. Da war eine Dynamik, die einfach sprachlos machte,eine Körperlichkeit und geistige Klarheit, eine Wucht und eine Vielfalt des Ausdrucks, eine Verwandlungsfähigkeit, eine technische Virtuosität, die alles übertraf, was ich bis dahin gesehen hatte, und zum Maßstab wurde für alles, was mir danach begegnen würde. Ein Darsteller, der in tragischen Rollen ebenso tief erschüttern wie in komischen hinreißend komisch sein konnte.

Vieles davon wird unvergeßlich bleiben. Darunter auch ganz kleine, scheinbar unbedeutende Momente, wie etwa der Augenblick aus der Nationaltheater-önszenierung von ‚Eines langen Tages Reise‘, wenn Olivier in der Rolle des gealterten Schauspielers Tyronne in seiner Knauserigkeit, um Elektrizität zu sparen, wiederholt einzelne Glühbirnen der Wohnzimmerlampe losschraubt, von dem Stuhl, auf dem er gestanden hat, herabsteigt, dabei ins Straucheln kommt, sich aber blitzschnell mit einer unnachahmlichen, elegant eitlen Bewegung wieder fängt und, als wäre nichts geschehen, die etwas peinliche Situation mit größter Nonchalance zu überspielen versucht.

Zu den letzten Erinnerungen an den großen Shakespeare-Darsteller gehört sein Fernseh-‚Lear‘ von 1983. Wegen seiner angegriffenen Gesundheit war Olivier schon seit Jahren den Anforderungen einer Bühnenaufführung nicht mehr gewachsen. Daß der durch schwere Erkrankungen und die extremen Belastungen seines Berufes deutlich gezeichnete Doyen des britischen Theaters überhaupt noch überredet werden konnte, die gewaltige Rolle zu übernehmen, die er nur einmal, vier Jahrzehnte davor, damals als 39jähriger noch im Vollbesitz jugendlicher Kraft, gespielt hatte, und daß er, der so oft von der mit den Jahren wachsenden Angst vor dem Publikum gesprochen hatte, den Mut dazu fand und die Energie, eine solche Aufgabe zu meistern, war schon an sich mehr als ein kleines Wunder.

Daß der neue ‚Lear‘ des alten Olivier nicht als eine seiner größten Leistungen in die Theatergeschichte eingehen wird, schien dagegen schon beinahe irrelevant. Denn obwohl die monumentale Gewalt, die elektrisierende körperhafte Ausstrahlung dem athletischen, früher halsbrecherisch wagemutigen Schauspieler-Artisten nicht mehr zu Gebote stand, beeindruckte Olivier diesmal vor allem durch Menschlichkeit, die Gebrechlichkeit, Verwundbarkeit und physische Schwäche des Greises, der er inzwischen selbst wirklich geworden war. „Ich bin Lear“, soll er während der Aufnahmen irgendwann zu seinem Regisseur gesagt haben.

Olivier, ein König, der dem Thron entsagte, in seinem Fall durch Krankheit und Alter gezwungen, entsagen mußte. Olivier war in der Tat ‚Lear‘ auf eine ebenso ergreifende wie mit professionellen Maßstäben kaum noch wägbare Weise; ein alter gebrochener Mann, nur noch der Schatten seiner einstigen Größe, die hier und da für kostbare Sekunden durchbrach wie fernes Wetterleuchten nach dem Sturm. Erschütternde Augenblicke im Ausdruck der Einsamkeit und Hinfälligkeit des Alters, Augenblicke voll Zartheit und Poesie; das Schauspiel eines großen alten Mannes, der an der Gemeinheit der Menschen, denen er alles gab, was er besaß, den Verstand verliert. Die Londoner Kritiker feierten das Ereignis schon damals fast wie eine Abschiedsvorstellung.

Wer Laurence Olivier vor allem als den überragenden Schauspieler tragischer Rollen kennt, der wird erstaunt sein zu hören, daß seine Vorliebe dem Lustspiel und der Komödie galt. Die Komödie habe, erklärte er, offenbar mehr mit Humanität zu tun. Der große Tragöde brauche die Begabung des Komödianten. Die größten Tragöden seien in Wahrheit Komödianten.

O-Ton 3 /Olivier: „I love comedy. I like it much better than the dramatic element in the acting world. I’ve always admired it more. I always believed that a comedian can be a greater tragedian than an allout tragedian can. I think that’s probably due to the fact that comedy has or seems to have a little more to do with humanity. I’m sure that the greatest tragedians are all comedians. I keep trying to do comedy myself“

O-Ton 4: Song aus Osbornes ‚The Entertainer‘, gesungen von Olivier.

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