die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1972
Text # 38
Autor Carl Foreman
Film
Titel Young Winston
Inszenierung/Regie Richard Attenborough
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1972.07.24/SWF Kultur aktuell

Lady Spencer-Churchill, die 87-jährige Witwe von Sir Winston Churchill, und 29 Familienangehörige waren zur Welturaufführung des Monumentalfilms ‘Young Winston’ erschienen, des – wie es in der Vorbesprechung einer Zeitung hieß – “besten Familienfilms seit der Erfindung des Celluloids, . . . des besten Spielfilms aller Zeiten”. Außer den Churchills , für die die Premiere etwas wie ein Familienfest gewesen sein mag, hatten sich die höchsten Repräsentanten des Staates und der Gesellschaft eingefunden, um das Ereignis gebührend zu feiern. Denn der Mann, dem hier mit der Verfilmung des ersten Teils seiner Autobiographie ein Denkmal gesetzt werden sollte, gehört schließlich der ganzen Nation, und die Erinnerung an seine Person gibt wieder einmal Gelegenheit zu einer der vielen nostalgischen Retrospektiven auf die einstige Größe Britanniens, von der heute leider so wenig übrig geblieben ist. Premierminister Heath und Harold Wilson standen an der Spitze der Ehrengäste aus der Welt der Politik; die Diskrepanz zwischen dem großen Churchill und seinen späten Nachfolgern konnte kaum deutlicher demonstriert werden. Sir Noel Coward als Vertreter des theatralischen Establishments begrüßte Lady Churchill vor der Vorstellung und versicherte ihr, daß auch er vermutlich während des Films weinen werde. Als alles vorüber war, gestand die Lady, es habe ihr “sehr, sehr gefallen”.

Warum wir so ausführlich darüber berichten? Vor allem, weil es über den Film selbst wenig Gutes zu sagen gibt. Carl Foreman, berühmt geworden durch sein Drehbuch zu ‘High Noon’, und Richard Attenborough als Regisseur haben sich zusammengetan und mit namhaften Schauspielern, zahllosen Statisten und technischen Helfern für viel Geld ein filmisches Heldenepos produziert, das trotz anders lautender Behauptungen in erster Linie darauf angelegt zu sein scheint, dem nationalen Selbstbewußtsein der Briten wieder etwas Auftrieb zu geben.

Die autobiographische Vorlage hat filmisch offenbar nicht sehr viel hergegeben. Darum konzentrieren sich Foreman und Attenborough auf die detaillierte Wiedergabe des familiären Milieus und die (natürlich immer wirkungsvollen) Schlachtszenen, in denen Young Winston sein furchtlos draufgängerisches Temperament unter Beweis stellen kann. Der junge Mann ist entschlossen, Karriere zu machen; er will um jeden Preis auffallen und exponiert sich dabei auf so selbstmörderische Weise, daß er die Tatsache seines Überlebens ebenso sehr einem gnädigen Zufall wie seinen soldatischen Talenten zu verdanken hat.

Mühsam schleppt sich der Film über die einzelnen Stationen des Helden, verweilt – als Kontrast zum Lärm der Schlachten – besonders gern bei sentimentalen Momenten, die Churchill als ‘Menschen wie du und ich’ zeigen sollen, bis er nach zweieinhalb Stunden endlich sein erstes großes Ziel erreicht hat, den Einzug ins Unterhaus, wo er dann gleich mit seiner ersten Rede beeindruckt und auf seinen steilen Aufstieg zur Spitze des Staates hinweist.

Obwohl der Film durch dokumentarische Aufnahmen aus späteren Jahren eingerahmt wird, fällt eine Vermittlung zwischen dem Inhalt des Films und der historischen Person, der er Tribut zollt, einigermaßen schwer, wenn man die unterschwelligen nationalen Emotionen der englischen Zuschauer nicht teilt. Das ganze wirkt wie eine langatmige, fast dreistündige Exposition zu etwas, was dann nicht kommt. Gewicht und Pointe des Films nämlich liegen in den Ereignissen, die er nicht mehr vorführt: in der Zeit danach, die Churchill als den genialen Politiker zeigen, einen der wenigen Großen der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

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