Die Uraufführung des neuen Musicals ‘Cats’ (Katzen) von Andrew Lloyd Webber ist als szenisches Ereignis so spektakulär, daß der Berichterstatter am liebsten die Waffen strecken und nur noch sagen möchte: Geht und seht selbst, denn was ihr in diesen zweieinhalb Stunden erlebt, ist nicht übersetzbar in Worte, die mühsam beschreiben, was sich mit Worten eben nur mühsam beschreiben läßt: ein sinnliches Schauspiel, szenische Unterhaltung auf höchster Ebene, wobei den singenden und tanzenden Darstellern Spitzenleistungen abverlangt werden, die selbst bei Solisten jeder einzelnen Gattung höchst selten sind.
‘Cats’ beweist (meinte ein Kritiker nach der Premiere), daß man auch in England selbst unter schwierigsten Bedingungen eine Musicalproduktion auf die Beine stellen kann, die jedem Vergleich mit amerikanischen Supershows gewachsen ist; daß es auch hierzulande Tänzer-Sänger-Darsteller mit echten Starqualitäten gibt; und daß Musicals, die auf anspruchsvollen literarischen Texten basieren, ihre Vorlage nicht verwässern müssen.
Andrew Lloyd Webber, Komponist von ‘Evita’ und ‘Jesus Christ Superstar’, dem erfolgreichsten Musical aller Zeiten, kam 1977 auf den Gedanken, T.S. Eliots ‘Kindergedichte für Erwachsene’ aus der Sammlung ‘Old Possums Katzenbuch’ zu vertonen und in konzertanter Form darzubieten. Valerie Eliot, die Witwe des Dichters, die dem Konzert im Sommer des vergangenen Jahres beiwohnte, sorgte für eine sensationelle Überraschung: Sie überreichte Webber einige unveröffentlichte Texte aus dem Nachlaß ihres 1965 verstorbenen Mannes. Sie ließen darauf schließen, daß Eliot sich mit dem Gedanken getragen hatte, seine Katzengedichte zu erweitern und in einen größeren Zusammenhang zu stellen, ein Projekt, das später aufgegeben wurde. Acht Zeilen eines unvollendeten Gedichts über ‘Grizabella, die Glamourkatze’ und Anspielungen in anderen Eliot-Gedichten auf außergewöhnliche Katzentiere brachten den Komponisten auf die Idee, das Material zur Grundlage einer Musical-Show zu machen. Webber wandte sich an Trevor Nunn, den künstlerischen Leiter der Royal Shakespeare Company, und bat ihn um seine Mitarbeit. Beide entwickelten ein Konzept, nach welchem die an sich selbstständigen Gedichte in eine einigermaßen plausible Folge eingebunden und musikalisch-choreographisch dargestellt werden konnten.
Die meisten der Texte aus der Sammlung ‘Old Possums Katzenbuch’ wurden wortgetreu übernommen; in einigen Fällen mußten die Zeiten (Gegenwart/Vergangenheit) oder die Pronomen (er/sie zu ich) verändert werden. Alle nicht zum Katzenbuch gehörenden Texte stammen aus anderen Gedichten T.S. Eliots.
Trevor Nunns Zusammenarbeit mit Gillian Lynne, der erfolgreichsten britischen Choreographin, und dem Bühnen- und Kostümbildner John Napier führte zu einer Inszenierung, die vor allem virtuoses Tanztheater bietet, mit Darstellern, die ebensogut tanzen wie singen und im Verein mit nahezu allen erdenklichen Bühnen- und Lichteffekten das ganze zu einem hinreißenden szenischen Spektakel machen. Fast sechs Monate brauchte man für die Besetzung des Stückes; was dann zustande kam, ist ein Ensemble von erstrangigen Solisten, darunter Wayne Sleep, der langjährige Solotänzer des Royal Ballet, dessen atemberaubende Nummer als Zauberkatze Mr Mistoffelees gegen Ende des Stückes zum tänzerischen Höhepunkt des Abends wurde; Paul Nicholas, einer der bekanntesten britischen Musicalstars, in der Rolle von Rum Tum Tugger; Bonnie Langford, mit sechzehn Jahren die jüngste britische Entdeckung eines ungewöhnlich dynamischen Musicaltalentes , als Rumpleteazer; Kenn Wells als Skimbleshanks; Brian Blessed in der Rolle des uralten Deuteronomy, der hier zur Figur eines Erzvaters der Jellicle-Katzen wird, die sich im Mondenschein auf einem Schrottplatz zu nächtlichem Spiel und Tanz versammeln; und Elaine Page, die sensationelle Evita der Uraufführung, hier in der Rolle der geheimnisvollen Glamourkatze Grizabella, die auf einem überdimensionalen Autoreifen, der wie eine fliegende Untertasse sich vier, fünf Meter vom Boden löst und einer Wolkenleiter entgegenschwebt, in himmlische Gefilde zu entschwinden scheint.
Die Londoner Kritiker überschlugen sich nach der Premiere geradezu vor Begeisterung: “Mehr ein Ereignis als ein Musical”, kündete die Zeitung ‘Dayly Mail’. – “Das höchste Kompliment, das sich machen läßt, ist zu sagen, der Dichter hätte gewiß zugestanden, daß seinen Worten nichts genommen worden sei”, hieß es im ‘Guardian’. – “Ein Ballett mit Liedern, ein Musical mit Worten, ein Bühnenspektakel, daß einem die Augen aus dem Kopfe fallen”, jubelte man im ‘Daily Telegraph’.
Wer anfangs daran gezweifelt haben mochte, ob Elliots anspruchsvolle Texte ein Massenpublikum erreichen konnten, mußte sich zunächst einmal geschlagen geben. Man darf sicher sein, daß sich die Kosten der Show von annähernd zweieinhalb Millionen Mark in kürzester Zeit amortisieren werden.